Religion und Wissenschaft
16.08.06, 11:53:19
aberich
Eine andere an dieser Stelle in unserem Kontext vielleicht sehr interessante Frage wäre ob ein Christ der behauptet Gott habe sich ihm offenbart noch als autistisch diagnostiziert werden dürfte, da Kriterien der Schizophrenie erfüllt wären. Kann es somit überhaupt religiöse Autisten geben? :)
Man kann beide Diagnosen haben.
Die Wissenschaft ist eine an der Realität mess- und beweisbare Theorie, die in sich in weiten Teilen konsistent ist.
Das trifft nicht auf alle Wissenschaften zu.
In der Wissenschaft gilt der Beweis durch wiederholbare Experimente. Damit erklärt sich von selber, dass manche Dinge sich der Wissenschaft entziehen und der weltanschaulichen Interpretation des Beobachters unterliegen.
Auch jedem Experiment vorausgehende Fragestellung unterliegt dem Beobachter. ;)
16.08.06, 12:46:10
Cadfael
Provokante These: Wissenschaft betrachtet nur einen Teil der Realität. Da Realität nicht teilbar ist beschreibt Wissenschaft gar nicht die Realität. Das kann nur Religion sofern sie wahr ist (wenn sie das sein kann). ;)
Hallöli,
ich habe mich viele Jahre mit Theologie beschäftigt - und auh 3 Semster ev. Theologie studiert.
Ich stimme _OO_s "provokanter" These zu.
Lebten wir vor 200 Jahren, wüssten wir nichts von Newtons, Darwins oder Einsteins Theorien. Aber auch damals gab es schon Leute, die ihr Weltbild auf die Wissenschaft aufbauten statt auf die Religion. Sie glaubten aber vielleicht etwas vollkommen falsches, weil es Newton, Darwin und Einstein noch nicht gab.
Wer als Christ die Bibel 1:1 übernimmt ist selbst Schuld. Dabei kommen so schlimme Ergebnisse wie Herr Bush und andere Fundamentalisten bei raus.
Ich sehe das so: Einem Kind kann man die Welt nicht immer so erklären wie sie ist. Ein dreijähriges Kind wird das Prinzip des Verbrennungsmotors nicht verstehen. Da sitzt Gott auf seiner Wolke und fragt sich, wie er den Deppen da unten die Welt erklären soll. Würde er sie so erklären, wie sie wirklich ist, würden die Menschen kein Wort verstehen. Wie ein dreijähriges Kind.
Also kommt er auf die Idee ihnen die Welt so zu erklären, dass sie es halbwegs kapieren. Tausende von Jahren gehen kluge Menschen hin und sagen: "Ätschi bätsch! Die Erschaffung der Welt hat niht 6 bis 7 Tage gedauert, sondern milliarden Jahre! Und es gibt auch Evolutiohon!"
Tja; jetzt sitz der alte Herr auf seiner Wolke und packt sich an den Kopf. Hätte er das damals wirklich so kompliziert und in allen Details schildern sollen? Hätte man das damals schon verstanden? Er hat es damals so ausgedrückt, dass nicht alles auf einmal da war, sondern sich in einer Zeitspanne entwickelt hat. Und ein Tag auf dem Jupiter hat keine 24 Stunden. Ein Tag auf Gottes Wolke übrigens auch nicht.
Wissenschaft betrachtet in der Tat immer nur Teilaspekte der Realität. Und es gibt Aspekte unserer Realität, von denen wir erst seit "kurzem" wissen. Radioaktivität, Anziehung von Massen usw..
Wovon wissen wir noch nichts? Was können wir garnicht in unsere Weltsicht einbauen, weil wir keine Ahnung davon haben, dass es das überhaupt gibt? Noch vor 150 Jahren glaubte die Wissenschaft, die Pockenepedemie in London sei durch "schlechte Dämpfe" hervorgerufen worden!!!
Wenn uns die Wissenschaft etwas lehrt, dann ist es, dass wir in Wirklichkeit nichts wissen. So wenig wie wir man mit Theologie die Welt fassen kann, kann man es mit der Wissenschaft.
Gruß
Andreas
16.08.06, 12:57:06
Wursthans
Wer als Christ die Bibel 1:1 übernimmt ist selbst Schuld. Dabei kommen so schlimme Ergebnisse wie Herr Bush und andere Fundamentalisten bei raus.
Das halte ich für einen Irrtum. Vielleicht ist gerade das Problem mit Herrn Bush, daß er nicht "1:1" die Bibel übernimmt, sondern gewissen Traditionen anhängt, die sich nicht von selbst aus der Bibel ergeben?
Man kann beide Diagnosen haben.
Nach der Definition dürfte das aber nicht sein. Hier sehen verschiedene Diagnostiker vielleicht einem Menschen unterschiedlich. :)
16.08.06, 13:39:21
bellaria
Soll ich mich nun dafür schuldig fühlen, diese Lawine losgetreten zu haben, oder mich darüber freuen, dass so eine lebhafte Diskussion draus geworden ist?! Das lass ich mal offen...
Das Grundübel unserer Welt und Zeit besteht in der Trennung. Trennung von Körper und Geist und Seele, Trennung von Arbeit und Freizeit, Trennung von Religion und Wissenschaft, Trennung von Herz und Verstand, Trennung von Menschenarten, Trennung von Atomen, Trennung von allem gegen alles.
Aber ein Mensch ist nicht getrennt - er ist immer alles zur selben Zeit im selben Körper. Und mit diesem allen macht er sich so seine Gedanken und Gefühle und Bilder. Die Naturwissenschaft muss alles sehr säuberlich trennen, um überhaupt ihrem eigenen Anspruch genügende Aussagen treffen zu können. Damit reduziert sie aber die Realität auf eine real nicht existierende Ebene.
Wieso ist es so ein Frevel, dies nicht zu tun und wissenschaftliche Erkenntnisse (wie z.B. den Energieerhaltungssatz) in einen anderen Kontext zu übernehmen? Wenn ich geschrieben hätte, dass Liebe nicht verloren gehen kann, wäre das manchen vielleicht komisch vorgekommen, man hätte mir es aber eventuell als "naiven Privat-Glauben" durchgehen lassen. Wenn ich aber versuche, das bisschen Wissen, das ich mir angeeignet habe, in eine Gesamt-Weltsicht zu integrieren, ist das plötzlich falsch und dumm und unzulässig und mir wird nahegelegt, Physik zu studieren. Nun ist unsere Welt aber mittlerweile so komplex, dass nicht jeder alles studieren kann und will und trotzdem aber nicht aufhören kann und will, sich Gedanken zu machen. Wir sind alle nur "Halbwissende", aber trotzdem ganze Menschen - und verdienen dafür ganzen Respekt.
16.08.06, 15:22:08
Wursthans
Wieso ist es so ein Frevel, dies nicht zu tun und wissenschaftliche Erkenntnisse (wie z.B. den Energieerhaltungssatz) in einen anderen Kontext zu übernehmen?
Weil jeder Wissenschaftler sich wehren würde z.B. die Bibel aus wissenschaftlicher Perspektive zu interpretieren. Das wäre ja sonst Doppelmoral. ;)
17.08.06, 12:24:24
ZalamO
Zitat:
Lebten wir vor 200 Jahren, wüssten wir nichts von Newtons, Darwins oder Einsteins Theorien.
Isaac Newton war vor 200 Jahren schon lange genug tot, um bekannt zu sein. Allerding stand es damals nicht jedem offen, sich über alles zu informieren.
Zitat:
Soll ich mich nun dafür schuldig fühlen, diese Lawine losgetreten zu haben, oder mich darüber freuen, dass so eine lebhafte Diskussion draus geworden ist?! Das lass ich mal offen...
Ich bin für letzteres ... :)
17.08.06, 13:31:06
aberich
Man kann beide Diagnosen haben.
Nach der Definition dürfte das aber nicht sein. Hier sehen verschiedene Diagnostiker vielleicht einem Menschen unterschiedlich. :)
Das mit der Differentialdiagnose bedeutet m.E. nur, dass die selben "Symptome" nicht für beide Diagnosen gleichzeitig verwendet werden dürfen. In manchen Fällen wird erst eine Autismus-Diagnose und später noch eine Schizophrenie-Diagnose gestellt. Da im Kindesalter Schizophrenie m.E. nicht diagnostiziert wird, müsste man als Erwachsener einem Diagnostiker glaubhaft machen, seit Kindheit Autismus-Diagnosekriterien zu erfüllen, und nebenbei die Offenbarung Gottes erwähnen, die man mit beispielsweise 21 erlebt habe, dann dürften dabei beide Diagnosen heraus springen ;)
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Wissenschaftler und Gläubige sind sich oft näher als man denken mag: viele Wissenschaftler glauben an eine beobachterunabhängige "objektive" Wirklichkeit und daß die sich punktgenau in ihren Köpfen spiegelt :p .
17.08.06, 14:12:14
Wursthans
Zitat:
F:Die Kriterien stimmen nicht mit denen einer weiteren spezifischen tiefgreifenden Entwicklungsstörung oder der Schizophrenie überein.
DSM-IV
Ich bin jetzt gerade selbst am überlegen wie das zu interpretieren wäre. Vielleicht hast du Recht. Kennt jemand eine Person der von einem Arzt oder Psychologen beide Diagnosen zugeschrieben wurden?
Im übrigen wäre dann im freikirchlichen Sektor nach deinem Verständnis Schizophrenie ziemlich weit verbreitet. Wie interpretierst du "Zugenreden" wie es dort teilweise praktiziert wird? :)
17.08.06, 20:15:24
aberich
Im übrigen wäre dann im freikirchlichen Sektor nach deinem Verständnis Schizophrenie ziemlich weit verbreitet.
Nein, über *mein* Verständnis habe ich nichts geschrieben, und nicht umsonst habe ich Symptome in "" gesetzt. ;)
18.08.06, 10:38:10
uppsdaneben
Wieso ist es so ein Frevel, dies nicht zu tun und wissenschaftliche Erkenntnisse (wie z.B. den Energieerhaltungssatz) in einen anderen Kontext zu übernehmen?
Es ist wissenschaftlich unzulässig. Damit du die Energieerhaltung annehmen kannst, musst du erst einmal die Seele als Energie im physikalischen Sinn nachweisen.
Selbst wenn es "seelische Energie" gäbe, bedeutet das nicht, dass "seelische Energie" nicht in Wärmeenergie umgewandelt werden darf. Denn es gibt nur die Energieerhaltung, nicht die Energiearterhaltung.
Und wenn es eine Seelenerhaltung gäbe, wäre immer noch die Frage, warum sie zwar positiv (Geburt), aber nicht negativ (Tod) verletzt werden darf.
Daher ist das Ganze physikalisch so sinnfrei wie ein Full-House bei Mensch-Ärgere-Dich-Nicht.
Das ist meine Aussage.
18.08.06, 10:39:48
uppsdaneben
Soll ich mich nun dafür schuldig fühlen, diese Lawine losgetreten zu haben, oder mich darüber freuen, dass so eine lebhafte Diskussion draus geworden ist?! Das lass ich mal offen...
Freue dich, die Erkenntnis lebt von der Diskussion.
18.08.06, 11:41:47
Wursthans
Auch ich finde die Diskussion eher erfrischend um das noch anzumerken.
Der christliche Glaube betrachtet die komplette Welt und rezipiert dabei auch Erkenntnisse die mit den unzureichenden Methoden der zeitgenössischen Wissenschaft erzielt wurden auf seine Weise.
Ebenso betrachtet die Wissenschaft - allerdings eingeschränkt durch ihre Dogmen - die komplette Welt. So begegnen sich zwei eigenständige Weltbilder. Man kann es dabei belassen oder das eigene Weltbild zugunsten einer Diskussion relativieren.