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Thema: Denkweise synästhetisch veranlagter Nichtautisten (http://autismus.ra.unen.de.auties.net/topic.php?id=5783)


Geschrieben von: feder am: 07.11.12, 09:59:35
Manche synästhetisch veranlagten Autisten beschreiben ihr Denken als ausschliesslich in Farben und Formen stattfindend. So dass Synästhesie nicht nur auf bestimmte Bereiche beschränkt ist, sondern umfassend sämtliche Bereiche des Denkens betrifft und es teilweise auch schwer fällt, diese inneren Bilder in Sprache zu übersetzen.

Mich interessiert nun, wie synästhetische Nichtautisten denken. Habt ihr auch diese umfassenden Bilder? Wie äussern sich diese? Was läuft bei euch ab, wenn ihr eure Bilder versprachlichen sollt?


Geschrieben von: 55555 am: 07.11.12, 11:54:59
Puh, ob es hier welche gibt? Vielleicht sicherheitshalber auch in einem Synästhesieforum fragen, sofern es eins gibt?


Geschrieben von: feder am: 07.11.12, 12:25:40
Falls ich hier keine sinnvollen Antworten bekomme, werde ich das wohl irgendwann in einem Synästhesie-Forum nachholen (hoffe momentan aber eigentlich schon darauf, dass sich hier jemand findet und ich mich nicht in ein neues Forum einzulesen brauche).


Geschrieben von: Fundevogel am: 07.11.12, 22:30:54
Keine Ahnung, wo Synästhesie anfängt... Mir erscheint Sprache sehr bildhaft und ich äußere mich gerne in Bilderszenen.

Mit Mathematik ging es mir ähnlich, als ich noch Schülerin war. Wenn ich auf Gleichungen schaute, hoben sich die Aufgabenstellungen so heraus, dass ich sehr schnell Lösungen abliefern konnte.

Wenn ich dekoriere/gestalte, müssen die Gegenstände ein mathematisches Verhältnis zueinander haben, sonst fühle ich mich unwohl.
Ich hatte einmal Gäste zu Besuch, die die Anordnung der Dekoration des Frühstückstischs nicht berühren konnten, weil sie das Verhältnis der Gegenstände zueinander zerstört hätten. Von diesen Gästen fühlte ich mich verstanden:).


Geschrieben von: feder am: 07.11.12, 22:44:26
Zitat:
Mir erscheint Sprache sehr bildhaft
Wie äussert sich diese Bildhaftigkeit? Siehst du erst innere Bilder (wenn ja, wie würdest du diese Bilder beschreiben?), die du in Sprache übersetzen "musst" oder erscheinen die Bilder durch den Sprachgebrauch?

Zitat:
Wenn ich auf Gleichungen schaute, hoben sich die Aufgabenstellungen so heraus, dass ich sehr schnell Lösungen abliefern konnte.
Wie kann ich mir dieses "Herausheben" vorstellen?


Geschrieben von: Fundevogel am: 08.11.12, 01:13:43
Ich denke, dass es über das Sehen geht. Wenn ich Worte lese, entsteht das Gelesene sofort als Filmszene und zwar fast real, farbig und dreidimensional im Kopf. Wenn ich dann bezogen auf das Gelesene reden muss/will, erzähle ich die ganze Geschichte, die sich da auftut. Mein Sohn findet mich dann langatmig, weil ich von links bis rechts alles schildere, was ich vor dem geistigen Auge sehe.

Wenn ich einen leeren Raum betrete, sehe ich ihn kurz leer und dann ähnlich wie im IKEA-Katalog in verschiedenen Einrichtungen.
Ich muss nichts übersetzen, es ist sofort da und ich bin dann in dieser Szene oder Einrichtung, nehme mich also nicht mehr als äußeren Betrachter wahr. Wenn mich dann jemand anspricht, muss ich erst aus der Szene aussteigen, weil ich dann erst mal nicht antworten kann und mich sammeln muss.
Ich denke, dass wir das als Kinder alle können.

Ähnlich war es bei den Matheaufgaben: Ich las die Matheaufgaben und die relevanten Passagen für die Reihenfolge zeigten sich deutlicher, ähnlich wie es in Filmen dargestellt wird, wenn schlüssige Worte fett gedruckt werden und die anderen in den Hintergrund treten.

Wenn ich schlecht einschlafen kann, dann registriere ich, dass mein Körper einschläft und sich meinen Befehlen entzieht, aber im Kopf sehe ich bewusst Farben und geometrische Formen, in die ich dann eintauche. Wenn dann Erinnerungen oder Angstmachendes hinzu kommen, muss ich mich gewaltsam wecken, weil ich diese meist als bedrohlich empfinde.


Geschrieben von: feder am: 08.11.12, 09:45:48
Zitat:
Filmszene und zwar fast real, farbig und dreidimensional im Kopf.
D.h. du siehst die Bilder gegenständlich? Vereinfacht gesagt, wenn du an einen Stuhl denkst, siehst du einen Stuhl vor dir?

Zitat:
Farben und geometrische Formen,
Haben diese Farben und Formen irgendeine konkrete Bedeutung für dich oder geht es mehr um das "Gesamtkunstwerk", das irgendwie zum Einschlafen wirkt?


Geschrieben von: Fundevogel am: 08.11.12, 12:21:20
Ich sehe die Bilder gegenständlich, also erlebtes Gesehenes.

Die Farben und Formen befremden mich zuerst, weil sie dem gegenständlichen Sehen des Tages zuwiderlaufen, dann erobern sie mich und nehmen mich bei vollem Bewusstsein mit...ich werde dann Teil ihrer Bewegung oder ein Karo in ihrem Muster (mein Körper ist dann wie verschwunden/aufgelöst) und ich genieße das... aber in ihre/meine Bewegung kommen dann irgendwann die dunklen Szenen und ich bekomme Angst und muss das beenden. Ich nehme dann meine ganze geistige Kraft zusammen und befehle meinem Körper, sich wieder zuzuschalten, damit ich die Nachttischlampe anknipsen kann.
Mir ist aufgefallen, dass ich das relativ häufig bei Stress erlebe. Wenn ich körperlich schwer gearbeitet habe, ist es umgekehrt, dann schaltet der Körper offenbar den Geist auf ruhend und ich falle innerhalb weniger Sekunden in Tiefschlaf.


Geschrieben von: feder am: 08.11.12, 19:55:06
Wie ist es, wenn du dich mit abstrakten Begriffen auseinandersetzt? Siehst du die dann auch (gegenständlich)?

Zitat:
ich werde dann Teil ihrer Bewegung oder ein Karo in ihrem Muster
Das geht schon mehr in die Richtung, wie ich es auch bei NA suche. Hat dieses Karo oder die Bewegung irgendeine spezifische Bedeutung (die nur dieses Karo oder nur diese Bewegung hat, wohingegen ein anderes Karo etwas ganz anderes bedeuten kann)?


Geschrieben von: Fundevogel am: 09.11.12, 02:22:52
Ich mache mit den Kindern öfter mal Musik. Es wird ein abstrakter Begriff genannt wie z.B. Angst oder Neugier und augenblicklich können die Kinder das umsetzen und ihre Interpretation ist einander sehr ähnlich. Das finde ich interessant, weil sie kaum Erfahrung mit Musik haben, aber Begriffen sehr sicher Töne zuordnen. Wenn man sie dann malen lässt, wissen sie auch, wie der Begriff aussieht, das ist manchmal gegenständlich und manchmal abstrakt. Ganz ähnlich ist es bei mir. Wenn ich sehr geschäftsmäßig handeln muss, bleiben die Bilder aus. Es ist wohl eine innere Offenheit dafür notwendig?

Das Karo hat keine individuelle Bedeutung. Die Farben und Muster bewegen sich wie ein Fischschwarm...sie kommen näher, flüchten, biegen sich, sind in Einzelheit wie im Muster zu sehen und ich reihe mich da nur ein als eins von Tausenden. Sie haben auch keinen sichtbaren Anfang und kein Ende. Sie haben für mich nur die Bedeutung von Farbe, Muster und Bewegung, ich erlebe ihre optischen Einzelheiten aber keinen Charakter...eher einen Charakter des Schwarms.


Geschrieben von: Gast am: 16.02.13, 03:17:08
Hallo!

Ich (NA) bin hier eher zufällig gelandet, aber das Thema finde ich interessant. Ich bin(genau wie meine Schwester) leicht synästhetisch veranlagt. Für uns haben Zahlen und Buchstaben ganz feste Farben, für mich auch Wochentage und Monatsnamen.

Ich kann mir Telefonnummern ziemlich gut merken, weil sie "farbcodiert" sind, und selbst, wenn ich eine nicht mehr ganz zusammenkriege, weiß ich immer noch, ob sie eher blau ist oder grün. Blau ist bei mir die 8, also wenn viele "Achten" drin vorkommen, ist die Gesamtnummer eher blau.

Ich hab darüber hinaus auch bei bestimmten Klängen Assoziationen, es gibt z. B. eine Vogelart (ich weiß nicht, welche!) deren Gesang für mich "feucht" klingt. Jazz-Trommeln klingen hingegen trocken, aber da bin ich mir nicht sicher, ob das meine Synästhesie ist oder ob das nicht allgemein so empfunden wird. Warum auch immer.

Ich hab auch sonst oft das Gefühl, dass ich viel assoziiere. Mich erinnern oft Dinge an etwas anderes, also z. B. ein Baumstumpf sieht aus wie ein Frosch oder der Klang des Geldautomaten beim Geld-Ausspucken erinnert mich an ein paar Noten aus einem Musikstück. Das sind Assoziationen, die ich nicht extra herbeibeschwöre, die tauchen auf wie Pop-ups.

Ein etwas anderes Beispiel: Als Kind hab ich mal Gebäck mit Hefe gegessen und gesagt, "Das schmeckt so wie Bier riecht". Fanden alle Erwachsenen total lustig, manche aber auch nicht nachvollziehbar, nach dem Motto "Hach, was das Kind da wieder für Quatsch erzählt". Dabei ist es doch völlig klar: Riechen und Schmecken sind eng verknüpft, und in beiden Dingen ist Hefe drin.

Ich glaube, dass meine Sinne einfach ein bisschen mehr miteinander verknüpft sind und ich daher solche Bier/Gebäck-Parallelen eher wahrnehme als andere, die mehr in "Sinnesschubladen" empfinden.

Insgesamt bin ich ein ziemlich visueller Typ, wenn ich z. B. versuche, mich an eine Adresse zu erinnern oder so, rufe ich im Kopf so eine Art Foto auf, es ist dann wirklich als ob ich in meinem Kopf noch mal auf das Stück Papier gucke, auf dem sie stand. Vokabellisten musste ich früher auch meist nur einmal durchlesen und hatte sie dann im Kopf.

Dinge schildern, die ich vor dem inneren Auge sehe, kenn ich auch total gut. Ich glaub, ich guck meinen Gesprächspartner dann gar nicht mehr an dabei, weil ich auf den inneren "Bildschirm" in meinem Kopf konzentriert bin.

Soundbites hab ich aber auch 'ne ganze Menge im Kopf, ich kann mich meist sehr genau erinnern, was Leute gesagt haben, und wenn sie's dann später leugnen oder sich nicht erinnern, macht mich das ganz verrückt.

Manchmal wird mir das mit den ganzen Verknüpfungen und Erinnerungen fast etwas zu viel. Da löst dann jeder Kleinkram Assoziationsketten aus, und außerdem hab ich das Gefühl, ich lebe zu sehr in der Vergangenheit und habe Angst vor der Zukunft. Klar: die Vergangenheit ist schön sortiert und schon erlebt in meinem Kopf, und die Zukunft ist ungewiss ...