towerowitch
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Hallo Antares,
hmm, natürlich ist er ein Mensch...leider ist er über viele Jahre zu Mit-Mensch gemacht worden (also was hier zu Recht verpönt ist: mit geistiger Be..., mit AHDS, der ganze diagnostische Schrott, hinter dem es sich zu gut auf "Wartung und Pflege" reduzieren lässt)...
Ich habe es lieber, dass wenn "Diagnosen", dann auch welche, die individuell auch Sinn machen - dazu nehme ich auf lieber meine Beobachtungen aus dem Alltag und versuche sie, wenn möglich auch lebensgeschichtlich einzuordnen.
Eine sog. "Geistige Behinderung" sehe ich nicht, kann in der Akte bleiben, denn ich arbeite lieber mit Menschen statt mit Buchdeckeln. Wer mir problemlos einen Wochenplan vorlesen kann, obwohl er behauptet, dass er nicht lesen kann, hat eher ein Problem mit dem Selbstbild, welches er mit in Interaktion mit seiner Umwelt ausgemacht hat, als mit kognitiven "Funktionen" (dass ich es bis zum Abitur geschafft habe, ist ja auch kein Ergebnis einer Diagnose, sondern Ergebnis, dass ich die Anforderungen, die dafür notwendig sind, bestanden habe...). Die zeitliche Orientierung ist auch kein Problem, auch das Lesen der Uhr klappt, wenn es denn sein muss (auch hier wieder eine Selbstbildfrage...). Probleme sehe ich eher im Bereich Rechnen, Mengen und Raum sind schwierig zu erfassen; allerdings ist die Frage, was mir die Erkenntnis bringt, wenn es lebenspraktisch okay ist...
Sexuelle Bedürfnisse: Schwierige Frage, denke da ist vieles von Gleichaltrigen und den Medien "abgehört". Beate Uhse war er schon - Resultat: Die Gummibärchen (also die in Penis- und Brustform) sind lustig, wann gehen wir wieder dahin? Verbal ausschlachten, lässt sich das Thema immerhin: Neulich hatte ich mal etwas Unruhe auf der WG gehört, weil eine MA in doch relativ deutlich aufforderte, dass er den Mitarbeiterinnen nicht an die Brust zu greifen habe - als ich ihn darauf ansprach, "prahlte", er habe XY1 an die Brust gegriffen. Als ich diese fragte, stellte sich heraus, dass er lediglich die Knöpfe ihr Weste gezählt habe und einer davon war - logischerweise für Westen - zwischen ihren Brüsten, also wanderte auch seine Hand da lang. Ein paar Monate vorher, erfuhr ich, dass man ihn nicht mehr alleine telefonieren lassen könnte - mit unserem WG-Telefon - weil er XY2 privat angerufen habe - defakto hatte er ihr auf die Mailbox geredet; die Nummer war direkt vor der seiner Mutter im Adressbuch abgespeichert - riesen Show und doch nur verwählt...
Auf Nachfrage, was dicke Brüste für ihn wichtig macht, kommt Schulterzucken, auf seine Aussage, dass er gerne mal ein Mädchen mit ins Bett nehmen würde, kam auch die Nachfrage: Und dann? - nichts. Letztes Jahr war er auf einem Stadtfest und hat eigener Aussage nach Mädchen "angemacht" - seine Mutter war auch dort und hat ihn beobachtet - also ohne sein Wissen (klingt schräg, ich weiß) und hat die 4 Damen danach gefragt, was er von ihnen wollte: 4mal die Auskunft: Er habe gesagt, dass er dann und dann wieder Zuhause sein müsste und wollte wissen, wieviel Uhr es ist! Denke, das ist immo noch nicht Thema, zumindest keines, was inhaltlich vorranig befriedigt werden müsste. Eher sollte man dies als Kontaktsuche unter dem Aspekt - Peer-Group betrachten...
Arbeitsplatzwechsel: Ja, da passt wenig, außer eben dem Gruppenleiter dort, der ganz wichtig ist. Zum Arbeitsplatz muss man aber sagen, dass er vorher 2 Jahre im Berufsbildungsbereich war und wirklich auf jeder Etappe massivst angeeeckt ist, was in seiner wirklich ausgeprägten Distanzlosigkeit begründet liegt (hier liegt wirklich einiges im Argen - vollkommen atypisch eben, sucht er ständig Kontakt zu den Betreuern - mit ständig meine ich, wenn er auf der WG ist, etwa 2-3min, bis ich wieder irgendetwas gefragt werde und/oder angefasst werde - und in der Zwischenzeit hat er mind. eine weiteren Kontakt zu Kollegen. Wir haben versucht, ihm unsichtbare Grenzen zu vermitteln, die "versteht" er eher räumlich, und es ist wirklich unangenehm, jemanden im Bett zu waschen, wenn vor der Tür ständig irgendwas gefragt wird - während es nur Fragen, die noch Beantwortung erledigt sind, okay, aber dann kommt die nächste und nächste und nächste - und bei der Mutter ist es ähnlich, nicht mal telefonieren kann sie mit mir, wenn er in ihrer Nähe ist...).
Gesellschaftliche Isolation: ich nenne es mal "Auseinandersetzung mit der eigenen Beeinträchtigung" - da lief früher vieles schief. Ich sehe es eher so: Wenn du dies und dies machen willst, mache es - alleine in die Stadt fahren, etc. Dennoch sehe ich deutlich, dass da gerade einiges läuft - habe 3 MA im gleichen Alter und da ist wirklich viel Dynamik drin - ich bin zu alt dafür und werde allenfalls noch "Papa" genannt... Große Baustelle
Langeweile: ständig! Das Problem ist, dass er wirklich fast nichts alleine tun will, und eine 24h-1:1-Betreuung kann niemand realisieren! Früher hat er gerne gepuzzelt, heute macht er dies max. 20min, gleiches gilt fürs TV. Das Zimmer kann aussehen, wie es will, selbst mit 1:1-Betreuung kommt man da kaum vorwärst. Gebe ich ihm eine neue Aufgabe, macht er sie den ersten Tag gut, den zweiten lustlos und den dritten gar nicht mehr... Klar formuliert er Wünsche: Ich will einen Fernseher - eine Woche später kaputt (soweit zum Thema KIKA schauen... inhaltlich geht es doch wohl um Anderes), ich will ein Smartphone - 3 Tage später Spider-App nach draufschlagen mit einem Hammer... Spezialinteresse? Schön wärs - Krankenhäuser, allerdings sind die auch nach einem Tag uninteressant... Deshalb habe ich ja auch so Muffensausen, wenn man ihm die Psychiatrie anbietet - das hatten ja schon A und B aus der Werkstattgruppe - okay, die fanden das scheiße, aber ich war noch nicht dort... Was dabei herauskommt, ist ein mit Drogen zugeschmissenes "Etwas", das dort "Drehtürpatient" wird....
WG oder Einzelwohnen: Sagen wir es mal so - ich hätte nie gedacht, dass er überhaupt für Mitbewohner zugänglich ist, allerdings erlebe ich derzeit viel wirklich Bedenkenswertes! Im Gegensatz zu seiner vorherigen Wohngruppe, die fast ausschliesslich aus Gleichaltrigen bestand, ist er bei uns extrem freundlich zu den älteren Bewohnern und wird von diesen geschätzt (im Gegensatz zu seinen persönlichen Erfahrungen mit alten Menschen - seine Großmutter hasst er und über den Opa sagt er, dass er froh ist, dass der tot sei...). Konflikte sind eher selten und werden gewaltfrei gelöst. Er hat ein Appartement außerhalb der WG, was er aber selbst kaum nutzt, da er den ständigen Kontakt zu den Mitarbeitern sucht. Konflikte gibt es eher im Haus, da trifft er ehemalige Mitarbeiter oder aktuelle Arbeitskollegen - und dann "tillt" er halt aus - die Reißnägel und co., aber dies ist eine Bühne, die nicht auf der WG spielt (selbst wenn er bei der Mutter/Eltern ist - Vater ist da eher "Beiwerk" - ruft er mind. 2mal täglich an, um zu fragen, wer da ist, wie es einem geht, was mich meine Kinder Nerven kosten, wann XY1 oder XY2, oder sonstwer kommt und Dienst hat - klar hat er "Favouriten", allerdings ist ihm kein MA so zuwider, dass er diesen mit dem Tode bedrohen würde, so wie dies früher mal war - etc.pp.), teilweise mutet dies wie Flashbacks an (zumal manche Konflikte eigentlich Jahre her sind!)...
Einzelwohnen? Selbst die Minimalanforderungen hierzu kann er im aktuellen Setting nicht umsetzen, klar wäre dies eine Lösung - ich fürchte aber, dass dies der weiteren "emotionalen Pauperisierung", die er aufgrund von mehr als 10 Jahren Heim erlitten hat, Vorschub leisten würde...
LG
T
P.S.: Kurz angemerkt: Ich finde den Austausch mit Antares gut, allerdings würde ich mir nochmal ein weiteres Feedback aus "Betroffenenseite" wünschen
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