55555
(Fettnäpfchendetektor)
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geändert von: 55555 - 07.03.16, 19:03:11
Zitat:
Junge, ist das peinlich. Megasuperpeinlich: Dieses laute, kräftige Einzelklatschen, sobald Justizminister Heiko Maas einen Satz zu Ende formuliert hat. Das ist von einer Penetranz, die sogar Anne Will stört. Und so decouvriert sie den Claqueur und begrüßt den Pressesprecher des Ministers einzeln. Der Klatscher verstummt daraufhin und Heiko Maas bekommt von da an – keinen Applaus mehr. Es rührt sich nicht eine Hand.
Es gibt in seinem Fall auch nicht viel zu beklatschen, sondern zu bezeugen, wie der Vertreter einer Bundesregierung, die ihre Flüchtlingspolitik als alternativlos ausgibt und sich dabei doch die größten Sprünge erlaubt, neben dem Außenminister von Österreich, Sebastian Kurz, wie ein Schuljunge aussieht: Zuerst beklagt Maas die schrecklichen Bilder, die nun von der Lage der Flüchtlinge in Griechenland zu sehen sind. Das sei schrecklich. Dann bestreitet er vehement, was jedem ins Auge springt: dass Europa, dass vor allem Deutschland mit dem türkischen Präsidenten Erdogan einen unausgesprochenen „Deal“ geschlossen hat, der bedeutet, dass Erdogan nicht alle Flüchtlinge weiterreisen lässt, dafür aber sein Land in eine Diktatur verwandeln kann, ohne dass die EU-Länder das für besonders bemerkenswert hielten.
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Hätte nicht der österreichische Außenminister in der Runde gesessen, wäre die Talkstunde mit dem üblichen Schall und Rauch vorübergegangen. Doch das ist zum Glück nicht so, auch wenn sich Katrin Göring-Eckardt und Katja Kipping bemühen, den Minister nieder zu brüllen. Kurz sagt, dass man politisches Asyl nicht mit der Einwanderung aus anderen Gründen verwechseln soll. Er sagt, dass im vergangenen Jahr nicht vornehmlich Frauen und Kinder, sondern vor allem junge Männer gekommen sind (das müsste sich inzwischen herumgesprochen haben). Er sagt, dass nur ein Drittel der Flüchtlinge Syrer sind. Er sagt, dass Griechenland sich in Sachen Grenzsicherung erst bewegte, nachdem die Balkan-Länder Druck gemacht hatten.
Zuvor sei Griechenland in der „komfortablen Lage“ gewesen, dass sich dort kein Flüchtling länger als vierundzwanzig Stunden aufgehalten habe. Kurz weist auch darauf hin, dass, weil Griechenland und die Europäische Union ihre Grenze eben nicht geschützt haben und noch immer nicht ausreichend schützen, die Türkei erst in die Lage gekommen ist, die Erdogan nun weidlich ausnutzt. Und dann sagt Kurz auch noch, dass man sich beim Stichwort Verteilung der Flüchtlinge in Kontingenten über ganz Europa nicht der Illusion hingeben solle, die Migranten gingen nicht in das Land, in das sie wollten, sondern blieben freiwillig in dem, das man ihnen zuweise.
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Da fehlte nur ein Stichwort, das bei dem slowakischen Abgeordneten Sulik mitschwingt: Der „Pull-Faktor“, den das deutsche Sozialsystem darstellt. Denn das gehört auch zu einer ehrlichen Bilanz der Flüchtlingskrise: Es kommen nicht nur Menschen nach Europa, die vor Vernichtung, Krieg und Vertreibung fliehen, sondern auch solche, die aus nachvollziehbaren Gründen schlicht ein besseres Leben suchen, weil sie in ihren Heimatländern keine Perspektive sehen, auch wenn sie nicht politisch verfolgt sind. Folgt man den Einlassungen von Katrin Göring-Eckardt macht das aber alles keinen Unterschied. Sie glaubt nicht, dass jemand nach Deutschland kommt, „weil er es sich hier schön machen will“. Andererseits tritt auch sie für „ein geordnetes Verfahren“ der Flüchtlings-Erfassung an der Außengrenze der EU ein, so dass man sich schon fragt: Wofür ein Verfahren, wenn doch sowieso jeder kommen soll?
Wir wirr ein solches Auftreten von Politikerinnen wirkt, die glauben, sie hätten die Moral für sich gepachtet, wird an diesem Abend durch den Kontrast zwischen Katrin Göring-Eckardt, Katja Kipping und dem österreichischen Minister Sebastian Kurz deutlich, der sich von Katja Kipping (etwas überschnappend) schließlich sogar anhören musste, seine Politik bestünde aus „Tränengas und Schießen“.
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Sebastian Kurz sollten die hiesigen Talkshowmacher häufiger einladen. Er setzt dem Berliner Schmäh etwas entgegen und zeigt die Defizite der hiesigen politischen Debatte auf, die von weltumspannenden Themen handelt, aber bis zur Verblendung selbstbezogen ist.
Quelle
Edit:
Zitat:
Natürlich lässt sich kein Medium gern als Lügenpresse bezeichnen.
Aber am 29. Februar versuchen aufgehetzte Migranten im griechischen Idomeni, den Grenzzaun in Mazedonien gewaltsam zu durchbrechen. Sie gehen mit Rammböcken gegen die Befestigung vor, bringen sie zum Einsturz, und werden unter Einsatz von Tränengas zurückgedrängt. Die Bilder von wütenden Männer mit Stangen gehen um die Welt. Auch die Berliner taz könnte eines dieser Bilder bringen. Statt dessen zeigt sie zwei bunt bekleidete Kinder vor schwarz gepanzerten Polizisten.
Bildunterschrift: Die Polizei scheut keine Mittel, um die Geflüchteten abzuhalten
Das Bild stammt auch aus Idomeni. Nur hat es mit den Ereignissen nichts zu tun. Es ist schon älter und das preisgekrönte Unicef-Bild des letzten Jahres, aufgenommen im August, und die Unicef beschreibt den Vorgang so:
Es ist der 21. August 2015, als es an der griechisch-mazedonischen Grenze zu dieser traumatischen Situation für zwei Flüchtlingskinder kommt. … Um das Herz der mazedonischen Grenztruppen zu erweichen, schicken manche Flüchtlinge Frauen und Kinder in die erste Reihe. Von hinten schieben die Massen nach, Kinder werden von ihren Eltern getrennt, teils auch von Fremden an die Hand und über die Grenze mitgenommen – während die Angehörigen nicht nachkommen können.
Es gab dort keinen Tränengaseinsatz, die abgebildeten Kinder dürften inzwischen seit Monaten bereits in Mitteleuropa sein, sie werden nicht zurückgedrängt – das Bild hat jenseits des Ortes mit den Nachrichten vom 29. Februar nichts zu tun. Aber die taz erfindet lieber diese Kinder vor bedrohlichen Polizisten neu, als die Wahrheit mit den Bildern der Migranten mit Rammböcken zu zeigen. “Archivbild“ schreibt die taz unter ihre Fälschung. Ganz klein.
Das ist dreist. Aber es passt zu dem, was man so erlebt, wenn man sich mit der Thematik momentan ernsthaft auseinander setzen will. Nach den Verbrechen von Köln nahm der Twitteraccount xyeinzelfall seine Arbeit auf, der Medien- und Polizeiberichte nach Straftaten absucht. Die Autoren sind sicher keine Befürworter der Migrationspolitik, aber sie halten sich an das, was als gesichert gelten kann, und erstellen eine Karte. Diese Karte gab es bislang nicht, und sie ist für viele Journalisten ein Hilfsmittel bei der Recherche – so wie die Hoaxmap, die Gerüchte über Flüchtlinge entkräftet oder die Karte, die die Amadeu Antonio Stiftung zu mutmasslichen Angriffen von Deutschen auf Asylbewerber und ihre Einrichtungen erstellt. Die Einzelfall-Karte rundet das Bild ab. Was jetzt noch fehlt, wäre eine Karte, die die Hoaxes gegen Deutsche sammelt – man erinnere sich an die Handgranate, an den toten Lageso-Syrer, oder an den Pakistani, der am Tegernsee einen Anschlag auf sich nur vortäuschte – ironischerweise sind nämlich die deutschen Gerüchte über den Fall bei Hoaxmap verzeichnet, nicht aber der Umstand, dass die bundesweit durch die Presse geisternde Ausgangslage ein pakistanischer Hoax war.
Ich habe das letzthin gemacht – was soll da schon passieren, es sind ja nur Polizeiberichte, wir leben in einer Demokratie, warum sollte man sie nicht lesen – und wurde Zeuge eines Lehrstücks in Sachen Denunziation. Das fing mit Kommentaren an, die mich wüst wegen der Verlinkung beschimpften. Das sei eine Nazikarte, das dürfte nicht sein, das sei unseriös, ich sei selbst ein Nazi… man kennt das, man löscht das. Dann trudelte bei mit eine Mail ein. Eine wirklich lange Mail, die mir zu erklären versuchte, warum das nicht seiu darf. Der angebliche Leser, von dem ich noch nie zuvor gehört habe, forderte mich auf, den Link zu entfernen “da die Seite mit Sicherheit dem rechtsextremen Milieu zuzuordnen“ sei. Das ganze gipfelte im Passus
“Also bitte ich Sie, sich das noch mal anzuschauen und die Verlinkung von faz.net entfernen. Die Online-Redaktion hatte mich gebeten, mich mit Ihnen in Kontakt zu setzen, da sie ebenfalls kein Link zu rechtsextremen Seiten wünscht und duldet. “
Nun arbeite ich ja schon etwas länger für die FAZ, und bislang war es stets so, dass die FAZ offene Fragen mit mir selbst klärte. In diesem Fall gab es keine offene Frage – der Autor der Mail hat zuerst bei der FAZ angerufen, dort versucht, mich zu denunzieren und die Löschung des Links zu erwirken. Erst als er dort abblitzte, hat er es auf diese Art dann noch bei mir versucht. Natürlich hat niemand diese Person aufgefordert, mir irgendwas zu sagen. Aber als Journalist muss man sich wirklich wundern, warum so ein Link zur Visualisierung von Polizei- und Medienberichten plötzlich solche Angreifer am Telefon, in der Mail und in den Kommentaren auftauchen lässt. Als ich das erste mal auf den Twitteraccount verlinkte, störte es noch niemanden.
Der kreischende Mob wurde diesmal mutmasslich vom Projekt “Perlen aus Freital“ losgetreten. Die Macher betreiben ein Portal, das rechtsradikale Facebookpostings sammelt, mit den persönlichen Daten der fraglichen Autoren zusammenbringt, und versucht, ihnen persönlich und beruflich Probleme zu bereiten – ich habe das früher schon kritisch dargestellt. Man kennt diese Taktik bezeichnenderweise von Linksextremisten, die in der Realität das Umfeld missliebiger Personen “informieren“ – Perlen aus Freital übertragen das ins Netz. Auf Twitter riefen die Macher nun dazu auf, die Einzelfallkarte bei Google zu melden. Ohne Begründung.
Die Perlen selbst klagen, wenn ihre Arbeit auf Facebook behindert wird; hier nun machen sie sich ähnliche Methoden zu eigen. Als ihr eigener Facebook-Account jüngst suspendiert wurde, war die Empörung gross. Ein Blick in die AGB lässt ahnen, warum Facebook den Stecker zog: Die Macher sind anonym und juristisch nicht greifbar, und nehmen bei ihrer Jagd keine erkennbare Rücksicht auf Urheber- und Persönlichkeitsrechte. Ausserdem betreiben sie das alles inzwischen mit Gewinnerzielungsabsicht, und das in einer Form, die über den Tausch von Gutscheinen etwas an Geldwäsche erinnert.
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Das alles kommt mir nur so nebenbei unter. Es zeigt, was man auf Seiten der angeblich “Guten“ und “Hilfsbereiten“ zu tun bereit sind, um dem eigenen Standpunkt Geltung zu verschaffen und die Gegner unter Druck zu setzen – mit Unterstützung von höchster Stelle. Vom Bilderwählen über die Anrufe beim Arbeitgeber bis zur gemeinschaftlichen Denunziation bei Google wirkt das auf mich schon etwas wie die realitätssozialistische Konstruktion der DDR – speziell wegen der Dreistigkeit und Offenheit, mit der das durchgezogen wird, vielleicht auch in der Erwartung, dass die Betroffenen schon kuschen und den Mund halten werden.
Quelle
Mancherorts steckt man Eltern ins Gefängnis, die ihre Kinder aus ideellen Gründen nicht zum Arzt bringen. Anderswo schützt man fremde Kulturen mittels Strafen vor Kontakt und Einmischung.
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