Spannendes zum Thema Nazivergleich und Diskursverweigerung, wenn in wesentlichen Punkten auch gnadenlos schwammig, ist heute auf
spiegel.de zu lesen:
"Man muss mit diesen Leuten reden", sagen die Besonnenen, und meinen, dass man sich menschenverachtenden, rechtsradikal gefärbten Kommentaren im Netz und auf der Straße diskursiv entgegenstellen soll.
Wahrscheinlich haben die Besonnenen recht, wie so oft - aber ebenso wahrscheinlich haben sie noch nie versucht zu tun, was sie predigen. Wer tatsächlich anfängt, mit "diesen Leuten" zu reden, stellt drei häufig wiederkehrende Phänomene fest:
- Es geht meist gar nicht um Gespräche, sondern um Signale der Zusammengehörigkeit an Gleichgesinnte. Diskussion als Austausch von Positionen ist selten erwünscht, die eigene, absurde Definition von Diskussion ist "von der Gegenseite recht bekommen".
- Selbst sanfte Entgegnungen und zaghafte Zweifel werden oft brachial gekontert, es geht dabei offensichtlich um Selbstvergewisserung vor der Gruppe.
- Die rhetorische Figur der "Nazikeule" taucht verlässlich auf.
Bei diesen Punkten bin ich mir soweit nicht sicher, welche Seite er meint. In diesem Forum dürfte das eher von der Medienmainstreamseite ausgehen, deren Vertreter erkennbar oft gar keine eigene Meinung zu haben scheinen, sondern oft nur einzelne teils nicht zusammenpassende Parolenversatzstücke nachzuäffen scheinen in Verbindung mit dem überbordenden Selbstverständnis dadurch quasi die Zivilisation selbst zu vertreten. Und ich meine doch, daß man zumindest mit mir über dieses Thema sinnvoll diskutieren kann, auch wenn ich keiner bestimmten Schubladenpartei angehöre (alleine das sorgt offenbar schon oft für Überforderung bei nicht wenigen Personen).
Zitat:
Wichtig ist dabei, dass "Nazi" im öffentlichen Diskurs nicht mehr in wikipediahafter Definition als "Kurzwort für Nationalsozialist" verstanden wird. Der Begriff Nazi hat sich zum Sammelbegriff entwickelt, er bezeichnet eine Personengruppe, die zu rechtsorientierter Menschenfeindlichkeit neigt. Das steht im Gegensatz zu der rechten Nachkriegstradition, "Nazi" so eng zu definieren, dass eigentlich nur Hitler übrig bleibt.
Und ich Dummie dachte bisher immer, daß "Nazi" noch etwas mit dem in die Nähe der Mittäter der Massenmorde der Nazizeit zu tun habe (zu denen ich auch den Massenmord an Autisten zähle). Was bedeutet er denn jetzt? Das was an Begriffen im Text angeboten wird wie "rechtsradikal" und "rechtsorientierte Menschenfeindlichkeit" erscheint mir leider sehr sehr unklar. Mir ist allerdings bisher auch entgangen, daß es im öffentlichen Diskurs inzwischen allgemein anerkannt wird z.B. die CSU als Nazipartei zu bezeichnen oder Erika Steinbach als Nazi oder Muslime als Muslim-Nazis. Wobei das in manchen Kreisen durchaus üblich sein mag, wer weiß.
Und wer bitte hat "Nazi" jemals so eng definiert, daß nur noch Hitler übriggeblieben wäre?
Zitat:
Man darf ja wohl noch Rechtsradikales sagen, ohne rechts zu sein!
Ja, was ist denn nun "rechts" und was "rechtsradikal"? Das habe ich noch nie wirklich verstanden.
Spaßeshalber:
Der Idee der NSDAP entsprechend sind wir deutsche Linke! ... Nichts ist uns verhaßter als der rechtsstehende nationale Bürgerblock
Das sozialistische Element im Nationalsozialismus, im Denken seiner Gefolgsleute, das subjektiv Revolutionäre an der Basis, muss von uns erkannt werden.
Der Begriff Nazikeule ist das Arschgeweih der Rechtspopulisten. Wer Nazikeule sagt, der glaubt, für seine geäußerte Meinung zu Unrecht als Nazi bezeichnet zu werden. Es handelt sich aber um eine sehr interessante Schutzpose, weil bei ihrer Verwendung zwei wesentliche Aussagen mitklingen:
- Wer Nazikeule sagt, möchte kein Nazi sein und nicht als solcher bezeichnet werden, die Verwendung sagt also aus, dass Nazi sein etwas Schlechtes ist.
- Wer vorauseilend vor dem Einsatz der Nazikeule warnt, erkennt damit indirekt an, dass seine Äußerungen als rechtsradikal verstanden werden könnten.
Das leuchtet mir überhaupt nicht ein. Beispiel: Immer wieder bezeichnen mich Leute als Stuttgarter. Ich habe keine Ahnung wie sie darauf kommen, auf Nachfrage kommt nie eine nachvollziehbare Antwort. Ich stelle richtig, daß ich kein Stuttgarter bin. Da es häufig vorkommt, daß mich jemand als Stuttgarter bezeichnet beginne ich vielleicht das gelegentlich von mir her schon richtigzustellen, wenn meine Antennen zu erkennen meinen, daß jemand wieder damit ankommen wird. Das bedeutet nicht, daß ich Stuttgarter schlecht finde, sondern, daß ich Wert darauf lege dieses Mißverständnis aufzuklären.
Zitat:
Hier ist die Essenz dieser merkwürdigen, rechten Selbstdistanzierungen: Man möchte rechte oder rechtsradikale Positionen vertreten, ohne als rechts oder rechtsradikal bezeichnet zu werden, man möchte sich waschen, ohne nass zu werden. Und das Wort Nazikeule soll dagegen imprägnieren. Man wird doch wohl noch Rechtsradikales sagen dürfen, ohne gleich rechtsradikal genannt zu werden!
Und was ist bezüglich dieses Themas nun warum rechts? Interessant, daß in diesem Text anklingt wie wichtig Namedropping zu sein scheint. Das könnte den eigenen Mythos entlarven, daß Diskussionen wegen der Verbohrtheit der anderen Seite nicht möglich sei (wobei es auf beiden Seiten sicher etliche Leute gibt, die damit tatsächlich überfordert wären). Ist es für den Autor denkbar über Themen wie dies sachlich zu diskutieren ohne den Schwerpunkt darauf zu setzen die Ansichten des Gegenüber mehr oder weniger pauschal einzuschubladisieren? Es scheint fast nicht so, denn wer, der von sich aus Sachdiskussionen führt kommt auf die Idee solche Texte zu schreiben? Wie sieht so ein mutiger "Diskussionsversuch" des Autors aus? Vielleicht so?
B: "Also ich finde der Islam hat schon bedenkliche Tendenzen zu Gewalttätigkeit."
Autor: "Rechtsradikaler! Fremdenfeind! Nazi! Menschenfeind!"
Dann würde es mich nicht wundern, daß danach keine Diskussion mehr zustandekommt, wie sollte sie auch.
Zitat:
Denn die Wahrheit ist, dass "diese Leute", mit denen man doch reden muss, sich grob in zwei Gruppen einteilen. Die einen sind Vollnazis, mit denen schlicht kein Dialog möglich ist.
Mit "Vollnazis" ist kein Dialog
möglich? Wieso das denn nicht? Meine Erfahrung ist, daß mit allen Menschen, die soetwas wie einen Ansatz einer eigenen Meinung haben ein Dialog möglich ist. Ich kann mir sogar vorstellen, daß ein Dialog mit dem Autor möglich ist, wenn er mal von seinem Einschubladidierungsfetischismus herunterkäme und zur Kenntnis nähme, daß die Welt geringfügig komplexer ist als es ein paar Parolen fassen können.
Eine andere Frage ist die, wie weit man sich vielleicht einigt. Was das angeht ist das wohl allgemein eine ganz hohe Kunst.
Zitat:
Solche die sagen: "Ich bin doch kein Antisemit, nur weil ich Juden hasse".
Man definiert Begriffe. Wenn man die übliche Definition für Antisemitismus anlegt, dann dürfte man sich einigen können, daß jemand nach dieser Definition antisemitisch ist. So wie man bei einer Beendigung der Dikussionsverweigerung von spiegel.de vielleicht zusammen feststellen könnte, daß nach einer entsprechend seriösen Definition von Autistenfeindlichkeit ein sehr großer Teil der Berichterstattung auf spiegel.de mit Berührung des Themas autistenfeindlich ist.
Zitat:
Die anderen aber, die Mitläufer, die Frustrierten, die Ängstlichen, die Aufgehetzten, die vielleicht noch erreichbaren Latenz-Nazis - die muss man dort packen, wo es schmerzt, also bei ihrem Wunsch, kein Nazi zu sein. Zugleich könnte das die große Menge an rechtsradikaler Hetze durch Mitläufer eindämmen. Denn wenn jemand weiß, dass er für eine Äußerung verlässlich als Nazi bezeichnet wird, könnte das seine Motivation dämpfen, tatsächlich zu hetzen.
Meine These ist, dass die zugegeben auch vorhandene Gefahr der Abnutzung oder vorschnellen Verwendung geringer ist als der Nutzen der Nazikeule.
Das ist doch mal ein offener und ehrlicher Aufruf zu populistischem Mobbing statt Diskurs. Mir scheint allerdings die Analyse nicht so ganz mit der Realität übereinzustimmen. So oder so, wer nicht auf Sachdiskussion setzt, der ist nach meinem Verständnis kein Demokrat. Und jetzt soll der Autor nicht kommen und sich über die Antidemokratenkeule beklagen. Und überhaupt: Ist jemand, der für ein Medium, in welchem regelmäßig Autisten verunglimpft werden, sich davon aber nicht wenigstens distanziert mindestens latent autistenfeindlich, also ein Nazi?
Zitat:
So lange Leute Nazikeule sagen, wollen sie keine Nazis sein.
Falsch, siehe oben. Mir ist doch wurst, ob ich nach einer befremdlichen Definition (das da im Artikel ist nicht einmal eine für mich nachvollziehbare Definition) ein "Nazi" wäre, solange klar ist, daß da jetzt nicht mehr ein Bezug zu den Verbrechen der echten Nazis gemeint wird.