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Thema: "Die erste sauber klingende Orgel der Welt" (http://autismus.ra.unen.de.auties.net/topic.php?id=6356)


Geschrieben von: 55555 am: 22.12.13, 18:11:38
Zitat:
Unser Tonsystem, das seit den altgriechischen Pythagoreern auf harmonischen Schwingungsverhältnissen aufbaut, hat einen eingebauten Fehler. Es ist nicht möglich, alle zwölf Töne der Tonleiter so zu stimmen, dass die harmonisch wichtigsten Intervalle, die Quinten und Terzen, alle sauber klingen.

Sauber, das würde heißen: Die Frequenzen von zwei Tönen, die eine große Terz voneinander entfernt sind, stehen im Verhältnis 4 zu 5, bei der Quint beträgt die Relation 2 zu 3. Man kann noch so viel herumprobieren, es gibt keine Lösung dieses Problems. Letztlich liegt es daran, dass zwölf aufeinandergetürmte Quinten oder drei Terzen nicht wieder zum Ausgangston zurückführen, sondern knapp daneben landen. Oder, für Mathematiker gesagt: dass eine Zahl nicht gleichzeitig eine Potenz von 2, 3 und 5 sein kann.

Unter dieser Unvollkommenheit haben alle Musiker zu leiden, aber die Organisten ganz besonders. Und auch diejenigen, die mit ihnen musizieren müssen. Beim Klavier fallen die Unsauberkeiten nicht so auf, weil dessen Töne schnell verklingen. Aber wenn neben einem Chor ein Organist einen unsauberen Fis-Dur-Akkord spielt, dann müssen die Sänger sich in den schrägen Klang einfügen.

Jede Orgel liegt also tonal ein bisschen daneben. Wirklich jede? Nein, eine Orgel gibt es, eine einzige auf der ganzen Welt, die sauber klingt. Das jedenfalls behaupten Werner Mohrlok und Markus Voigt. Um ihr Instrument zu hören, muss man tief in den Osten fahren, nach Bad Liebenwerda im Dreiländereck zwischen Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg. Dort, beim Orgelbauer Voigt, steht sie, die erste "dynamisch stimmbare Orgel".

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Werner Mohrlok, ein Hobby-Fagottist, hatte schon 1985 die Idee, dass man im Computerzeitalter dem Problem durch eine variable Stimmung zu Leibe rücken könnte (ZEIT Nr. 15/02). Je nachdem, welche Tasten gedrückt werden, verändert der Computer die Stimmung der Töne ein kleines bisschen. Wenn also der Dreiklang C-E-G gespielt wird, sorgt die Software dafür, dass die Töne im Verhältnis 4 : 5 : 6 erklingen – das Ergebnis ist ein strahlend sauberer Dur-Akkord. Mohrloks Sohn Herwig, ein begeisterter Hobbyprogrammierer, half ihm bei der Realisierung. Das Programm ermittelt die nötigen Verstimmungen so, dass kein einzelner Ton zu stark nach oben oder unten verschoben werden muss – der Zuhörer würde sonst verstört reagieren.

In einigen Synthesizern und Kompositionsprogrammen für den Computer wird das Hermode-Tuning heute bereits verwendet. Aber ließ es sich auch für ein mechanisches Instrument wie die Orgel realisieren? Das elektromechanische System musste dafür von Grund auf neu entwickelt werden. Mohrlok und Voigt organisierten EU-Mittel für ihr Projekt und fanden in der 80 Kilometer von Bad Liebenwerda entfernten Hochschule Mittweida einen akademischen Partner. Die Ingenieure dort entwickelten Umstimmelemente und Magnetantriebe, die nicht nur innerhalb von Millisekunden die Steuersignale des Computers umsetzen müssen, sondern das auch noch möglichst leise tun sollen.

Nun ist die Demo-Orgel fertig. Im Oktober wurde sie der Musikwelt auf einem Symposium vorgestellt, heute ist der Organist und Professor für Kirchenmusik Martin Strohhäcker aus Dresden angereist. Der freut sich sichtbar, zum zweiten Mal Hand an das Instrument legen zu können. "So etwas hat man vorher noch nie gehört", schwärmt Strohhäcker und demonstriert das System mit einigen Standardwerken der Orgelliteratur.

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Bei moderneren Orgelwerken wie denen von Max Reger, die mit vielstimmigen Dissonanzen arbeiten, ist es geradezu eine Erlösung fürs Ohr, wenn ab und zu ein strahlend sauberer Klang die Spannung auflöst – der wirkt umso besser, je reiner er ist. Aber auch ganz aus Wohlklang bestehende Stücke wie das Weihnachtslied Es ist ein Ros entsprungen erklingen mit der variablen Stimmung in nie gehörter Sauberkeit. Traditionalisten, die jeder unvollkommen gestimmten Tonart einen gewissen "Charakter" zubilligen, würden es vielleicht sogar klinisch sauber nennen. Für die hat Werner Mohrlok einen Kompromiss parat: Man kann auf einer Skala zwischen 0 und 100 einstellen, wie stark die variable Stimmung eingreift – 0 bedeutet gleichstufig, 100 maximale Sauberkeit.

Quelle


Geschrieben von: Hans am: 23.12.13, 13:04:05
Das hört sich interessant an, sich mal an zu hören