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Dawson bezeichnet die Vielfalt der ungewöhnlichen Stärken als „autistische Intelligenz“. Damit meint sie nicht die in der Öffentlichkeit bekannten, äußerst seltenen Inselbegabungen sogenannter Savants, die mit fantastischen Rechenkünsten oder musikalischem Genie brillieren. Weit verbreitet ist dagegen die Gabe vieler Autisten, sich kleinste Details zu merken, die anderen entgehen.
In jüngerer Zeit wurde die präzisere Auffassungsgabe für visuelle und akustische Eindrücke gemessen. Die neurologische Besonderheit ist vermutlich der Grund, warum manche Autisten exakter zwischen unterschiedlich hohen Tönen unterscheiden können und, wie jüngst bekannt wurde, ihre Sehkraft an die von Raubvögeln heranreichen kann.
Nichts hat das gängige Bild von Autismus jedoch so grundlegend in Frage gestellt wie Dawsons Versuche zum Intelligenzquotienten von Autisten. Etwa 75 Prozent aller Autisten werden als geistig behindert eingestuft. Dabei ist nicht der Intellekt autistischer Menschen minderwertig, sondern es sind die Verfahren, mit denen er gemessen wird. Dies entdeckten Dawson und ihre Kollegen, als sie die Intelligenz von Autisten mit unterschiedlichen IQ-Tests untersuchten. Der klassische Wechsler-Test erfordert ein hohes Verständnis für mündliche Sprache. Doch gerade damit haben Autisten oft Schwierigkeiten, und die Ergebnisse fallen entsprechend schlecht aus. Werden Autisten dagegen mit dem sogenannten Raven-Test geprüft, der nicht sprachliche Kompetenz, sondern hohe visuelle Analysefähigkeiten misst, fallen die Leistungen bis zu 30 Punkte höher aus.
„Wir Autisten sind nicht dumm, sondern anders“, konstatiert Dawson. Sie hat wie viele Autisten nicht den Wunsch, wie „Neurologisch-Typische“ zu sein. So bezeichnen Dawson und andere autistische Aktivisten „normale“ Menschen. „Ähnlich wie wir heute Gehörlose oder Homosexuelle voll akzeptieren, sollte in unserer Gesellschaft Platz für Autisten sein“, fordert auch Mottron.