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AGATHABERG - Inklusion ist ein aktuelles Schlagwort, das Integration abgelöst hat. „Wir praktizieren das hier bereits seit 20 Jahren. Inklusion ist in Agathaberg kein Begriff, sondern gelebte Realität“, sagt Walter Prim, Leiter von Haus Agathaberg.
In dem Wohnverbund der Stiftung „Die gute Hand“ leben Menschen mit Asperger-Syndrom. „Wir sind Nachbarn im Dorf, wir feiern gemeinsam“, sagt Prim. Es gebe eine große Offenheit auf allen Seiten und mit den Jahren sei ein tolles Netzwerk entstanden. Jeder Bewohner in Agathaberg kenne das Haus mit seinen Bewohnern und die Arbeit, die dort geleistet werde.
„Wir wussten nicht, was auf uns zukommt“
Vor 20 Jahren als die Stiftung das ehemalige Nonnenkloster neben der Kirche kaufte, sah das noch anders aus. „Wir wussten nicht, was da auf uns zukommt“, erinnert sich Stefan Brunsbach, Vorsitzender des Bürgervereins Agathaberg. Natürlich habe es am Anfang Probleme gegeben, weil die Krankheit Autismus vor 20 Jahren kaum bekannt war. „Aber alle sind offen mit den Problemen umgegangen. Wir haben informiert und alle gebeten, sich direkt an uns zu wenden, wenn es ein Problem gibt, damit wir Lösungen finden können“. So habe sich eine ältere Agathabergerin einmal sehr erschrocken, weil am Abend plötzlich ein Gesicht am Fenster zu sehen war. „Ein Bewohner hat sich seine Nase am Fenster plattgedrückt. Wir haben ihm erklärt, dass so etwas nicht geht und gegen die Regeln verstößt. Damit war das geklärt und danach ist das nicht mehr vorgekommen“, schildert Prim einen Fall.
Den erwachsenen Autisten durch Vertrauensbildung ein Stück Heimat zu geben, sei immer wieder gelungen, freut sich der 60-Jährige. Man habe Konzepte entwickelt und für den betroffenen Personenkreis Perspektiven geschaffen, etwa durch Wohngruppen oder die Werkstatt Quantum.
Dazu mussten auch die eigenen Mitarbeiter immer wieder geschult werden. „Ein Studium mit Schwerpunkt Asperger-Syndrom gibt es noch nicht“, berichtet der gelernte Heilpädagoge. Erst in den letzten Jahren sei Autismus bekannter geworden und werde auch in der Forschung stärker berücksichtigt worden. Der Wohnverbund mit ambulantem und stationärem Angebot sei einmalig in Deutschland. „Agathaberg ist Vorbild und Vorreiter“, sagt Prim, der Ende des Jahres in den Ruhestand geht.
„Es gibt eine große Offenheit, jeder kennt jeden“, erläutert Thomas Ufer, Gastwirt und Bezirksbrudermeister. „Die Begegnungen finden auf gleicher Ebene und nicht von oben herab statt. Ein respektvoller Umgang eben“, so Ufer. Die Eigenheiten der einzelnen Menschen seien bekannt und würden akzeptiert, Probleme offen angesprochen. Stolz sind die Agathaberger auf ihren Preis für Integration, den sie beim Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ erhalten haben.
„Es hat Spaß gemacht, ich habe es keine Sekunde bereut, auch wenn es manchmal belastend war“, fasst Prim seine 20 Jahre in Agathaberg zusammen. „Wir hatten Spaß miteinander, nicht übereinander“, betont er. Und der Spaß steht auch beim Maifest am morgigen Donnerstag im Mittelpunkt. „Damals haben wir die Nachbarn eingeladen. Heute ist es das gemeinsame Fest aller Agathaberger.“