Grundzüge der Kollision autistischer Eigenschaften mit nichtautistisch geprägter Umgebung
Nicht alle Autisten müssen jede hier geschilderte Einzelwahrnehmung so wie dargestellt empfinden. Um Barrierefreiheit für die gesamte Autistenheit zu gewährleisten, ist es jedoch erforderlich, auf sämtliche Punkte einzugehen.
Autisten filtern Sinnesreize nicht unbewußt, sondern nehmen diese mehr oder weniger ungefiltert wahr und müssen sich in einer aktiven Denkleistung laufend entscheiden, welchen Reiz man versuchen sollte besonders zu beachten. Daher kann z.B. der wohlige nichtautistische Klangteppich für Autisten zu einer Barriere werden, sich in einer Umgebung zu orientieren.
Jeder dieser Faktoren beansprucht geistige Kapazitäten, stellt gewissermaßen einen Schleier dar, der ständig immer wieder erst durchdrungen werden muß. Welcher Faktor bei einem einzelnen Autisten eine wie große Rolle spielt, hängt von seiner individuellen Veranlagung ab. Autisten sind wie andere Menschen auch teilweise eher visuell ausgerichtet, teilweise eher akustisch, teilweise auch anders.
Je mehr einzelne Barrieren in einer Situation vorzufinden sind, desto höher die gesamte Barrierehaltigkeit. Wahrscheinlich ist dabei eine enorme psychische Anstrengung, die über das hinausgeht, was Nichtautisten sich freiwillig zumuten würden. Autisten sind jedoch gewohnt hierbei ständig an ihre Grenzen zu gehen, psychisch gesund ist das deswegen noch lange nicht. Diese ständigen Anstrengungen haben Folgen, die dem Burnout-Syndrom entsprechen können. Es kann eine schlimme Erfahrung sein, bereits durch Situationen, die für andere selbstverständlich zu sein scheinen, über die Maßen belastet zu werden. Dies kann zu erheblichem Selbsterleben als Versager führen, zu psychischen Traumen, deren Gründe vom nichtautistischen Umfeld nicht ansatzweise nachvollzogen werden können.
Wer in einer Welt leben muß, die nicht gemäß der eigenen Veranlagung gestaltet ist, kann erhebliche Zweifel an sich bekommen. Der Gedanke, daß nicht man selbst das Problem ist, sondern die nicht passende Umgebungsgestaltung, liegt ohne Kontakt zur autistischen Subkultur recht fern.
Unterdurchschnittlich kleine Personen sind für jedermann sichtbar nicht in der Lage, ohne Leiter im Supermarkt an das oberste Regal zu gelangen. Die andere Wahrnehmung von Autisten sieht man jedoch von außen nahezu gar nicht, zumal Autisten meist gelernt haben, durch Imitation eigentlich fremder Verhaltensmuster weniger aufzufallen. Daher reagieren die meisten Mitmenschen auch völlig anders als im Fall einer kleinen Person. Hilfestellung ist fast nie zu erwarten, da das Problem nicht sichtbar ist. Wer kauft z.B. schon für eine offensichtlich körperlich gesunde Person ein, die angibt das gerade nicht zu schaffen? Würde man damit vielleicht nicht falsch handeln, indem man eine Schüchternheit unterstützt, statt der Person Mut zu machen es selbst zu erledigen?
Achtung: Diese Auflistung ist in ihrer Form geeignet pathologisierende Klischeevorstellungen zu nähren. Dies ist der thematischen Setzung geschuldet und sagt nichts darüber aus, wie die beschriebenen Eigenschaften absolut zu bewerten sind.
Bewegungen
Halten sich Autisten in einer von Nichtautisten nur gemäß deren Veranlagung gestalteten Umgebung auf, treffen sie häufig auf viele sich bewegende Objekte. In einer natürlichen Umgebung hingegen finden sich kaum schnelle und ineinander verschränkte Bewegungen. Gras und Bäume wiegen sich gemächlich im Wind, hier und dort fliegt ein Vogel. Diese Bewegungen halten sich in einem für nervlich wenig durch andere Alltagsbarrieren vorbelastete Autisten meist vertretbaren Rahmen.
Sensibel auf Bewegungen zu reagieren hat in natürlichen Zusammenhängen gar einen einfach einzusehenden Sinn. Die Formenvielfalt der Natur hält sich zudem auch in überschaubaren Grenzen.
Anders z.B. Automobilverkehr auf urbanen Straßen in Kombination mit flackernder Neonreklame und bunten Stadtgestaltungen verschiedener Art. Ein einzelnes sich schnell bewegendes Objekt innerhalb der Sichtweite dürfte für die meisten Autisten zu erfassen sein. Aber selbst häufig auftauchende sich schnell bewegende Einzelobjekte können zu einer erheblichen Belastung führen. Umso mehr eine Szene vieler verschiedener gleichzeitig stattfindender Bewegungen. Besonders ungünstig sind dabei unterschiedliche Bewegungsrichtungen und -geschwindigkeiten. Diese alleine können bereits einen totalen Wahrnehmungszusammenbruch verursachen, da diese Reize nicht mehr zeitnah verarbeitet werden können.
3D-Sicht
Viele Autisten scheinen keine oder eine stark reduzierte Fähigkeit zu haben dreidimensional zu sehen. Dies wurde z.B. bei Donna Williams offenbar durch eine individuell angepasste IRLEN-Brille geändert, mit welcher sie ihre Umgebung entscheidend plastischer wahrnehmen zu können angibt. Dieser Effekt ist nach Erfahrung der ESH selbst in Fachkreisen bisher kaum bekannt.
Dreidimensionales Sehen spielt eine Rolle bei der Abschätzung von Entfernungen und der Größe von Objekten. Beides bedingt einander gegenseitig. Wer Entfernungen schlecht schätzen kann, der weiß nicht genau wie weit weg sich ein Objekt von ihm befindet, und wer das nicht genau weiß, kann auch schlecht dessen Ausmaße schätzen.
Detailzoom
Ein anderer Effekt, der die Schätzung von Objektausmaßen unsicher macht, ist die Eigenschaft mancher Autisten, Details in ihrem Umfeld durch einen "Tunnelblick" gewissermaßen wie durch die optische Linse von Camcordern an sich heranzuzoomen. Das geschieht mitunter unbewußt. So kann es manchen Autisten z.B. vorkommen als wäre ein Linienbus deutlich dichter oder auch ferner als er es tatsächlich ist. Wer schonmal mit einem solchen Zoom hantiert hat weiß, daß der Blick durch den Zoom völlig aus dem Blickfeld geraten lassen kann, was gerade direkt neben einem selbst passiert.
Es ist zu vermuten, daß diese an sich durchaus nützliche Fähigkeit im Kontext von Dauerüberforderung außer Kontrolle geraten kann.
K.O.-Muster
Manche Muster wie Laufrostgitter, Frontgitter von Lautsprecherboxen oder Rillen von Rolltreppen können Autisten zeitweise handlungsunfähig machen, wenn der Blick auf diese fällt. Von Autist zu Autist ist unterschiedlich, für welche und wieviele Muster Anfälligkeit besteht.
Hier wäre es wünschenswert, solche visuellen Anordnungen besonders bei vorhandener Gelegenheit im Sinne der Barrierefreiheit möglichst aus dem öffentlichen Raum zu tilgen.
Spiegelungen und Reflexionen
Diese können noch stärker blendend empfunden werden als von Nichtautisten.
Helligkeit
Für manche Autisten ist die Helligkeit des Tages überhell und belastend. Daher tragen manche Autisten immer Sonnenbrillen. Das wie auch vieles andere sollte man ihnen nicht aus falsch verstandenem missionarischen Sittenverständnis abzugewöhnen versuchen. Autisten sollten grundsätzlich eher ermutigt werden ihren persönlichen Stil auszuleben, da der eben öfter als von NA gedacht handfeste Gründe hat. Siehe auch Luftzug und "zu warme Kleidung".
Autisten können sich oft gut in einem Helligkeitsgrad orientieren, der für Nichtautisten "dunkel" wirkt. Es ist verfehlt, wenn Nichtautisten deswegen ihr Empfinden der vermeintlich richtigen Helligkeit aufzwingen und damit den Autisten von ihm als zu stark empfundener Helligkeit aussetzen. So können Autisten mitunter bei einem Helligkeitsgrad noch weitgehend ihre Umgebung erkennen, bei dem Nichtautisten die Hand vor Augen nicht mehr für erkennbar halten. Diese Lichtstärke kann für den Autisten gerade angenehm sein.
Kunstlicht
Grelles Licht wie Autoscheinwerfer oder Ampeln stellen starke Einzelreize dar. Ein weiteres Problem ist die für Autisten manchmal zu niedrige Taktfrequenz von Leuchtstofflampen, die vermutlich in einigen Jahren ausschließlich erhältlich sein werden.
Farbfilter und Artefakte
Unter Streß oder ohne zunächst erkennbaren Grund kann bei manchem Autisten die visuelle Wahrnehmung einen starken Farbstich bekommen. Das kann z.B. dort Probleme verursachen, wo Farbsignale dadurch unkenntlich werden oder Schrift auf farbigem Untergrund unlesbar.
Ebenso können Artefakte die visuelle Wahrnehmung ergänzen. Artefakte können schwimmende Linien sein oder auch umherfliegende Punkte.
Synästhesie
Überdurchschnittlich viele Autisten sind auch Synästheten. Das bedeutet, daß unwillkürlich sinnesübergreifende Assoziationen stattfinden. Wenn z.B. der Geruch von Rosen wahrgenommen wird, erscheint gleichzeitig auch ein visueller Eindruck.
Synästhesie ist nachgewiesenermaßen einer höheren Gedächtnisleistung zuträglich, da Erinnerungen dadurch griffiger werden.
Veränderungen des gewohnten Bildes
Der Gesamteindruck eines Ortes kann sich für Autisten auch durch Nichtautisten unbedeutend scheinende Veränderungen erheblich wandeln. Z.B. kann alleine ein ungewohnter Stand der Sonne mit ungewohnten Schattenwürfen zu generellen Orientierungsproblemen führen.
Gefällte Bäume, gemähtes Gras, das alles kann Autisten bei ihrer Orientierung behindern. Es kommt auf Einzelperson und Tagesform (die für so Vieles relevante mittelfristige nervliche Vorbelastung innerhalb der letzten Monate) an, wie stark dieser Faktor sich auswirkt.
Formen- und Stilvielfalt
Die Formenvielfalt der Natur hält sich wie schon erwähnt in überschaubaren Grenzen. Für Industrieprodukte gilt das nicht. Ständig tauchen neue unbekannte Formen auf, die zunächst vielleicht nicht einmal richtig erfasst werden können. Diese gesteigerte Komplexität der Alltagsumgebungen erschwert die Systematisierung von räumlichen Strukturen und die Orientierung, bindet Aufmerksamkeit zwecks Erfassung und Einordnung. Dies kann subjektiv von Autisten jedoch als ebenso angenehm empfunden werden wie für NA Radio hören bei Büroarbeit. Dadurch sinkt nachweislich die individuelle Konzentration, was jedoch von der Person selbst meist nicht so wahrgenommen wird (teils mangelnde Selbsteinschätzung bei allen Menschen).
Eine Umgebung mit vielen eher unbekannten Objekten kann für Autisten verwirrend sein. Die Orientierung kann sich in so einem Umfeld besonders verzögern, da Bezugspunkte nicht bekannt sind oder Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Solche unbekannten Objekte können bekannte Strukturen unkenntlich oder schwerer identifizierbar machen.
Dies gilt im übertragenen Sinne nicht nur für den visuellen, sondern auch für alle sonstige Wahrnehmungskanäle.
Zivilisationsgeräusche
In von Nichtautisten gestalteten Ortschaften findet man gewöhnlich eine Vielzahl von Geräuschen. Nichtautisten schildern ihr Erleben so, daß Geräusche für sie angenehm sein können. Gemäß ihrer Veranlagung fürchten sie sich hingegen in einem schallgedämpften Laborraum. Viele von ihnen flüchten innerhalb kurzer Zeit panisch aus solchen Räumen. Daher ist es verständlich, daß von der nichtautistischen Mehrheit ein gewisses Geräuschwirrwarr in ihren Ortschaften als "Klangtapete", als Zeichen von Identität und Heimat mehr oder weniger unbewußt eingerichtet wird. Auf Autisten wirkt dies mitunter jedoch völlig anders, wie in der Einleitung zu diesem Teil bereits umrissen.
Lautstärke
Autisten empfinden nicht nur ungefiltert die Reize um sie herum, sondern meistens auch deutlicher als Nichtautisten. Bezogen auf Töne bedeutet das, daß üblicher Lärm von Autisten noch lauter gehört wird. Bei Sprache führt das auch dazu, daß Autisten nach dem Eindruck von Nichtautisten zu leise sprechen, was jedoch daran liegt, daß diese oft schlechter hören und es unangenehm ist lauter zu sprechen. Das kennt jeder vom Kontakt mit Schwerhörigen ohne Hörhilfe.
Frequenzbereich
Etliche Autisten hören auch Töne aus Frequenzbereichen, die erwachsene Nichtautisten in der Regel nicht mehr hören, so z.B. manche Schreie von Fledermäusen, Marderschreck in parkenden Autos oder Brummen und Flirren elektrischer Bauteile oder Leitungen.
So kann es auch bei Nichtautisten zum falschen Eindruck kommen, einzelne Autisten würden Wahnvorstellungen unterliegen, da sie offensichtlich auf etwas reagieren, das die Nichtautisten jedoch nicht hören können. Zum Klischee des Unmündigen passt diese Annahme ja auch hervorragend. Hier können Frequenzmessgeräte aus dem Spielwarenladen Klarheit schaffen. Gerade nichtsprechende Autisten können unter solchen Geräuschen leiden, bis hin zu schweren Selbstverletzungen bei jahrelangem Surren elektrischer Bauteile in der Zimmerwand.
Hier sollte ein Bewußtsein dafür entstehen, daß seltsame Reaktionen von Autisten immer einen Grund haben. Wenn nicht diesen, dann einen anderen. Nicht davon auszugehen bedeutet in vielen Fällen die Ablehnung von Hilfeleistung und das leichtfertige Zerstören von ganzen Lebensläufen mit horrenden Folgekosten zulasten der öffentlichen Kassen für die Verwahrung der Trümmer einst vielversprechender und vielleicht nie als solcher erkannten Existenzen. Autisten werden oft fälschlich für geistig behindert gehalten, weil sie nicht so reagieren, wie Nichtautisten es von sich selbst kennen.
Gerüche
Auch für Gerüche oder Geschmackserlebnisse gilt der Abschnitt zu Geräuschen sinngemäß. Unregelmäßig auftretende Gerüche können irritieren. Viele Autisten verabscheuen Parfums an fremden Personen oder gar an ihnen selbst.
Temperatur
Autisten haben häufig im Alltag kein so genaues Temperaturempfinden oder achten aufgrund der vielen anderen Reize nicht auch noch darauf. Erkältungen sind dennoch anscheinend nicht so häufig Folge. Gegebenenfalls kann es hilfreich sein, Autisten ein Thermometer zur Verfügung zu stellen. Manche Autisten können schwitzen und frieren zugleich, vielleicht rührt der Eindruck eines wenig ausgeprägten Temperaturgefühls daher, daß die Einzeleindrücke des Temperaturempfindens nicht so wie bei Nichtautisten zusammengeführt werden, sondern einzeln empfunden werden.
Wenn ein Autist in eine Angelegenheit vertieft ist, kann es vorkommen, daß er nicht fühlt, wenn er sich z.B. kochendes Wasser über die Hand kippt, und dieses vielleicht nur rational wahrnimmt.
Temperaturdifferenzen z.B. nach dem Betreten eines Gebäudes können Autisten irritieren und für eine gewisse Zeit zusätzlich ablenken.
Luftbewegungen
Bewegungen der Luft wirken auf den Tastsinn. Einige Autisten sind hierfür besonders sensibel. Gerade leichte Luftbewegungen wie schwache Winde können eine schwere sensorische Belastung darstellen, oft eine schwerere als kräftigere, kontinuierlichere Luftbewegungen. Kleidet sich ein Autist aus eigenem Antrieb so, daß große Teile des Körpers bedeckt sind, kann es darauf zurückgehen. Dem Autisten das zu verwehren, weil es in manchen Jahreszeiten "zu warm" sei, kann bedeuten einen Menschen empfindlichem Leid auszusetzen, das dieser gewöhnlich nach außen nicht für Nichtautisten erkennbar ausdrückt, aber stark auf seine Seele wirkt und ernste Traumen verursachen kann. Starker Wind wird hingegen von denselben Autisten mitunter auch als angenehm empfunden, weil er ähnlich drückt wie eine Squeeze Machine und so entspannend wirkt.
Berührungen
Viele Autisten sind für spontane Berührungen von anderen Menschen sehr empfindlich. Berührte Körperteile können noch tagelang nach der Berührung als abgestorben und tot oder auch brennend schmerzend empfunden werden. Aufgrund dieser unangenehmen Erfahrungen mögen es viele Autisten schon nicht, wenn sich Menschen ihnen ohne Einverständnis abzuwarten zu sehr nähern. Wenn möglich sollte zu Autisten dezent ein Abstand gehalten werden, der mindestens der Griffweite der anderen Person entspricht, da viele Autisten hierin bereits aus ihrer Erfahrung heraus eine Bedrohungssituation empfinden, zumal sie schwer einschätzen können, wann eine Person sie wohl tatsächlich auch ohne zu fragen anfassen wird. Das an sich ist eine ganz normale menschliche Schutzreaktion, die von Nichtautisten gerne als "unnormal" oder "übertrieben" bezeichnet wird, da sie nicht dem Erleben der nichtautistischen Bevölkerungsmehrheit entspricht. Und diese Mehrheit meint gegenüber dem fremd Erscheinenden der bessere, der "gesunde" Mensch zu sein und schon daher Recht zu haben.
Autisten sollte auf Wunsch zugestanden werden, in öffentlichen Verkehrsmitteln den Sitz neben sich frei halten zu dürfen, gerade wenn es voll wird. Denn ein volles Verkehrsmittel ist wegen den übrigen verdichteten Reizen alleine schon eine hohe Belastung.
Sich abstoßend anfühlende Oberflächen
Manche Oberflächen wirken auf einige Autisten sehr abstoßend und ähnlich wie visuelle K.O.-Muster, bis hin zu spontanem Brechreiz. Es ist ungünstig z.B. Haltegriffe mit solchen Profilen zu versehen.
Unebener und uneinheitlicher Untergrund
Wie bei allen Menschen fordert ein unstrukturierter Untergrund beim Passieren auch Autisten mehr Aufmerksamkeit ab. Im Wald mag das angesichts ansonsten geringer auf nichtautistische Umgebungsgestaltung zurückzuführende Reize nicht weiter schlimm sein. In einer Ortslage kann soetwas jedoch die grundsätzliche Orientierungsfähigkeit weiter vermindern.
Davon nicht betroffen sind zonenweise strukturierte oder mit haptischen Signalen versehende Bodenbeläge, da diese im Gegenteil den Raum auch für Autisten sinnvoll unterteilen und so entlastend wirken können.
Auch ebene, aber leicht ungerade Untergründe können bei Autisten schwere Irritationen bezüglich des Gleichgewichtssinns auslösen.
Mitmenschen als mögliche Bedrohung
Gerade Mitmenschen können aufgrund ihres autonomen Handelns für Autisten bedrohlich wirken. Ihr Handeln ist oft nicht absehbar, die Empathie der Nichtautisten für Autisten aufgrund der unterschiedlichen Veranlagung des eigenen Erlebens oft erschreckend gering ausgeprägt. Wird eine Person versuchen ein Gespräch zu beginnen, dessen Sinn unverständlich bleibt? Wird sie aufgrund ausbleibender Mimik gar vermuten, daß es dem Autisten nicht gut geht und deswegen erst recht hartnäckig nachfragen oder versuchen "aufzumuntern"? Gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut, das weiß jeder Autist nur zu genau. Keine gute Grundlage für Begegnungen mit anderen Personen auf öffentlichem Raum.
Ordnung
Autisten wird nachgesagt, Ritualisierungen positiv gegenüberzustehen. So pauschal stimmt es nicht, aber bevor sich Autisten in die alltägliche Reizhölle begeben, muß möglichst alles klar sein. Flexibles Handeln ist unter der enormen Reizbelastung außerhalb der bekannten, sicheren, selbst kontrollierbaren Rückzugsräume kaum möglich, da kein Mensch unter einer solch schweren Belastung, wie sie sich Autisten gewöhnlich im Alltag darstellt, vernünftig nachdenken kann. Daher ist es für Autisten sehr wichtig, verlässliche Ordnungen in allen Lebensbereichen vorzufinden, die von Reizbelastung geprägt sind. Sinn dieser Ordnungen ist es in jedem Fall zu vermeiden, in der Situation selbst nachdenken zu müssen.
Bedenkzeit
Wird ein Autist in einer für ihn belastenden Situation oder einer für ihn sprachformal oder inhaltlich nicht so klaren Weise etwas gefragt, kann es sein, daß eine Antwort etwas länger braucht. Das gilt auch für alle sonstigen Reaktionen im übertragenen Sinn. Wer mehr im Kopf hat, der muß auch mehr sortieren. Unruhe in Form von Gesten, Nachfragen, etc. tragen dazu bei, daß die Situation für den Autisten weiter erschwert wird. Eine auf NA abwesend wirkende Körpersprache sollte auf keinen Fall so gedeutet werden, daß der Autist nicht um eine Antwort bemüht ist.
Ungeklärte Sachverhalte
Stark belastend können sich auf Autisten auch Vorgänge auswirken, durch deren verzögerten Ausgang noch keine Klarheit über den Ausgang besteht. Das können besonders Ämterangelegenheiten sein oder auch sich über viele Monate hinziehende Gerichtsverfahren. Autisten verarbeiten solche Vorgänge vor allem seriell, sind also bestrebt, Dinge schnell zu erledigen um danach etwas anderes zu tun. Parallele Anforderungen, bei denen mehrere Vorgänge gleichzeitig ungeklärt offen stehen, können Autisten schwer belasten und dahin bringen handlungsunfähig zu werden, da die unerledigten, unbeantworteten Vorgänge nicht vergessen werden können, es sei denn man hat einen Autisten so weit gebracht, daß ihm schon alles egal ist.
Hier bekommen Anforderungen an Barrierefreiheit ein besonderes Gewicht, denn in der Regel ist heute die Antwort auf solche Schwierigkeiten, daß der Autist seine Angelegenheiten von einem Nichtautisten erledigen lassen soll. Dieser denkt jedoch völlig anders und kann auch in der Sache weniger kompetent sein als der Autist, was für diesen dann eine schwere Zumutung bedeutet. Nichtautisten sind zudem aus autistischer Sicht oft launisch und verstehen viele Wünsche nicht. Die entstehenden Kosten fallen der Gesellschaft zur Last, wobei dies nicht erforderlich wäre, wenn Bearbeitungsvorgänge speziell für Autisten strukturell barrierefrei gestaltet würden, also vorsehen deren Vorgänge mit hoher Priorität zu bearbeiten und Verzögerungen durch unumgängliche Erkundigungen stets mit Rückmeldung mit eigener Antwortfrist anzukündigen. Hier sollte stark darauf geachtet werden, daß diese Vorgaben auch von den Bearbeitern in die Praxis umgesetzt werden, daß verstanden wird wie wichtig diese Priorität für die mündige Teilhabe von Autisten an der Gesellschaft ist. Es kann nicht angehen, daß Menschen, die ihre Angelegenheiten gut selbst erledigen könnten, dies nicht tun, weil sie durch solche Barrieren außer Stande sehen, solche höchst widrigen Rahmenbedingungen zu beherrschen. Es kann ebenso nicht angehen, daß Autisten auf viele Rechte sowie auf die Sanktionierung von erfahrenem Unrecht verzichten, weil die Barrieren zur Justiz und Behörden zu hoch sind, um nervlich verkraftet zu werden.
Hier (extern) findet sich ein jüngerer und kürzerer Text mit ähnlicher Zielsetzung, der eventuell teils ergänzend Sinn macht und teils kritisch gewürdigt werden kann.