Shiva
|
Hallo Samantha. Ich bin selbst Aspie (noch selbstdiagnostiziert, aber deswegen nicht unbedingt weniger wert) und habe eine Beziehung zu einem Nicht-Aspie. Das erste Jahr war eine Katastrophe! Ich kämpfte um jeden Zentimeter Freiheit und Ruhe (obwohl ich natürlich auch Nähe mochte), er kämpfte dagegen an und versuchte, mich festzuhalten, weil er es missverstand. Im Grunde genommen hatten wir ständig mit Missverständnissen zu kämpfen. Einfach ist das alles nicht. Es hat auch lange gebraucht, bis ich endlich verstanden habe, warum alle Versuche, die verbissene Situation zu ändern, scheiterten.
Mein Freund hörte auf, Erwartungen an mich zu stellen. Ich hatte (so wie dein Freund) das Glück, dass er sich damit auseinander gesetzt hat und gemerkt hat, dass er immer mehr Druck auf mich ausgeübt hatte mit seinen Erwartungen. Wir sind immer noch in einer Art Aufbauphase und müssen unsere Grenzen neu auskundschaften, diesmal mit dem Verstehen und Wissen im Hinterkopf.
Einige wichtige Dinge haben sich dabei herauskristallisiert.
Wir haben oft Kommunikationsprobleme, weil ich häufig nicht reden kann. Da ist einfach eine Barriere. Du musst dir das bei mir vorstellen, dass ich in zwei Welten lebe. Die eine Welt ist meine autistische. Die andere Welt ist die, in der alle leben und sich äußern und zeigen. Nun soll ich meine autistische Welt jemandem mitteilen. Ich weiß in dem Moment nicht, wie ich das anstellen soll, meine Gedanken nach außen zu tragen. Es ist wirklich verzwickt. Oft hilft es mittlerweile, dann zu schreiben. Das ist manchmal sehr viel einfacher, als zu reden. Vielleicht hilft es euch, Briefe zu schreiben, oder euch am PC MSN oder ähnliches zuzulegen, wo man "spontaner" miteinander schreiben kann.
Dann verstehe ich zuviel wortwörtlich. Darüber kann schnell Unzufriedenheit entstehen, weil ich entweder etwas in meiner anders funktionierenden Logik anders verstehe, als er es gemeint hat, oder ich Dinge, die er sagt, ernster betrachte, als er es vielleicht tut. Früher wurmte ihn das, dass ich alles mit meiner Logik "zerpflückt" habe, z. B. auch seine romantische Art, mit der ich nicht soviel anfangen konnte. Das hat ihn wahnsinnig gemacht. Brachte er mir Blumen mit, die er unterwegs gepflückt hat, stellte ich fest, dass diese Blumen jetzt sterben müssen. Das war wohl nicht die Reaktion, die er sich erhofft hatte. Oder wenn er Dinge sagte: "Ich werde dich für immer und ewig lieben!" fragte ich verwundert, woher er das wisse. Das ist nicht einmal böse gemeint, ich mache mir eben über andere Dinge Gedanken als er. Hilfreich ist es da, wenn er jetzt klarere Äußerungen macht, die ich verstehe. Genauso hilfreich ist es, wenn ich ihm meine Logik erkläre. Manchmal versteht er mich dann sogar. Es ändert nichts an seiner oder meiner Sichtweise, aber wir können uns gegenseitig dolmetschen. Er erklärt mir manchmal, warum diese oder jene mir nicht verständliche Verhaltensregeln vorhanden sind und was sie bedeuten, ich erkläre ihm dann meine Sichtweise, die für mich sehr logisch aufgebaut ist. Er sagt zwar, ich denke oft zuviel nach, aber er akzeptiert das, dass ich andere Gedankengänge verfolge. Vielleicht kannst du mit deinem Freund auch so eine Ebene finden? Versuche, deutlicher zu werden in deinen Aussagen und nimm ihn ernst, wenn er vielleicht eine (für dich) verquere Logik hat.
Manchmal habe ich für mich gewisse "Ziele" oder "Pläne" vor Augen, die so dominant sind, dass alles andere in den Hintergrund rutscht. Wenn ich dann feststelle, ich habe gleich eine Verabredung, möchte aber jetzt eigentlich viel lieber das Buch weiterlesen, fühle ich mich sehr unruhig und genervt. Das kann mitunter auch dazu führen, dass ich spontan einer Verabredung absage, weil ich keine Lust habe. Das liegt jedoch nicht an der Person, mit der ich mich verabredet habe, sondern an mir selbst, ich habe einfach mehr Lust, zu lesen. Ich könnte mich natürlich trotzdem mit dieser Person treffen, dann aber würde ich mich vermutlich sehr ungehalten benehmen und unruhig bleiben und den Moment, an dem die Person geht, nicht mehr erwarten können. Natürlich kann ich nicht beurteilen, warum dein Partner Verabredungen absagt. Ich kann mir durchaus auch vorstellen, dass sein Berufsleben für ihn sehr anstrengend ist. Er muss unter Menschen sein, Druck aushalten, Konversationen führen, kritisieren und Kritik einstecken, planen, mit Unvorhergesehenem rechnen usw. Viele autistisch veranlagte Menschen versuchen auch, sich zu "verbiegen", um in der für ihn nicht so ganz normalen Welt zurechtzukommen. Er hat schließlich auch Wünsche und Ziele vor Augen. Vielleicht ist er abends dann tatsächlich zu kaputt? Ich zum Beispiel muss nach der Arbeit Ruhe haben. Diese Ruhe findet man in dem Moment in sich selbst. Mich persönlich kann es da schon stören, wenn da nur eine Person anwesend ist.
Naja, und gut wäre, wenn du keine Erwartungshaltung ihm gegenüber hast, denn die wird er vermutlich eh nicht erfüllen können. Ihr solltet einfach einen Weg finden, wir ihr gut miteinander kommunizieren könnt. Wenn er im Moment nicht reden kann, sondern dich lieber in den Arm nimmt, dann ist es gut so, denke ich, denn er versucht ja, mit dir zu kommunizieren. Das "in den Arm nehmen" symbolisiert ja auch etwas. Setz ihn nicht unter Druck, aber du kannst ja zum Beispiel äußern, dass wenn ihm das Reden so schwer fällt, er dir auch einen Brief oder eine E-Mail schreiben kann.
Reizüberflutung ist auch bei mir ein Problem. Die kann jederzeit und jeden Tag auftreten, und ja, so ein Besuch auf dem Rummel ist wirklich nicht entspannend (zumindest für mich). Stell dir vor, du hättest Kopfschmerzen, und sollst dir dann all diesen Trouble antun, all die hellen bunten vielen Lichter, die Gerüche, der vielschichtige Lärm, all die Menschen um einen herum, die einen vielleicht noch beim Vorbeigehen aus Versehen berühren. Und du kannst das alles gar nicht filtern, weil es alles mit gleicher Intensität auf dich einstürmt. Da willst du mit Sicherheit auch nur noch weg. Mein Freund hat mittlerweile ein Verständnis für meine Symbole, wenn mir etwas zuviel ist. Meist reicht es, wenn ich mir die Ohren zuhalte und die Augen zukneife. Das sagt ihm dann einfach "Hilfe, es ist mir zuviel, zu laut, ich ertrage das gerade gar nicht!" Auf viele Dinge muss er mich auch seelisch vorbereiten. Ich kann zwar sehr spontan sein, kommt jedoch Spontanität von einer anderen Person, kann ich damit sehr schwer umgehen. Auch sind gewisse "Änderungen" nicht leicht zu ertragen.
Mehr kann ich im Moment auch nicht an Tips geben, eine Patentlösung gibt es ja leider nicht für eine Beziehung.
|