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Gast
(Gastzugang)

Hallo Alle mit einander!
Ich wohne seit September in Dänemark und studiere hier Pädagogik.
Seit letzter Woche mache ich ein Praktikum in einem Wohnagebot für Autisten.
Mir macht die Arbeit dort großen Spaß; es sind tolle und interessante Menschen mit denen ich da arbeiten darf.
Nun ist es so, dass ich in einer Gruppe arbeite in der nur zwei Leute sprechen können, mit den anderen unterhält man sich via Zeichensprache oder Piktogrammen.
Im Ramen einer Aufgabe möchte ich mich besonders mit einem der Bewohner beschäftigen der Berührungsängste hat. Mich würde interessieren wie diese Berührungsängste mit Autismus zusammenhängen; ob es da überhaupt einen Zusammenhang gibt. Da er einer von denen ist, der über keine Sprache verfügt, kann er mir nichts darüber erzählen, und desswegen hoffe ich, hier vielleicht etwas zu dem Thema zu erfahren.
Ich freue mich schon auf Respons...

07.11.07, 21:20:25
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55555
(Fettnäpfchendetektor)

Berührungsängste bei Autismus können schlichtweg daher kommen, daß Berührungen starke Schmerzen verursachen.

Mancherorts steckt man Eltern ins Gefängnis, die ihre Kinder aus ideellen Gründen nicht zum Arzt bringen. Anderswo schützt man fremde Kulturen mittels Strafen vor Kontakt und Einmischung.
07.11.07, 22:19:44
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drvaust
(stillgelegt)

Da viele Autisten Berührungsangst haben, auf Abstand wert legen, vermute ich, daß Berührungsangst typisch für Autismus ist. Aber ich weiß nicht, woran die Berührungsangst liegt. Ich kann nur vermuten und von mir ausgehen.

Für mich ist eine direkte Berührung mit Menschen unangenehm, das ist aber verschieden, je nach der Art der Berührung und der berührenden Person.
Eine direkte Berührung mit nackter Haut o.ä. irgendeines Menschen ist für mich unangenehm bis ekelig. Deshalb gehe ich z.B. nicht gerne in ein Schwimmbad. Bei Berührung durch Stoff ist es weniger unangenehm. Wenn ich darauf eingestellt bin, z.B. beim Arzt, komme ich damit klar. Bei Berührung von einer Person, die mir nahe steht und der ich vertraue, ist es weniger unangenehm. Bei Berührung von einer Person, die mich auch emotional stark berührt, kann mich das überfordern, zu Panik führen.
Berührung ist auch eine nicht vorhandene Distanz. Ich habe gerne alles auf sichere Distanz, vor allem Bewegliches und Unberechenbares, besonders Menschen. Deshalb ist eine Berührung bedrohlich.
Das ist mein persönliches Empfinden, ich habe noch andere Probleme, die sich auswirken. Bei anderen Autisten könnte das anders sein.
07.11.07, 22:56:25
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Gast
(Gastzugang)

Weil viele Autisten "gerschärfte" Sinne haben? Oder ist das ein Vorurteil?
Bei ihm ist es manchmal so, dass wenn man vorher bescheid sagt, darf man ihn schon anfassen. Und wenn er den ersten Schritt macht lässt er es auch manchmal zu. An manchen Tagen lässt er sich sogar dazu hin reißen Leute zu umarmen... Das kommt wohl aber nur sehr selten vor.
Es ist bestimmt nicht so einfach was dazu zu sagen, weil ja jeder Mensch anders ist. Aber ich hätte nicht gedacht dass es so schwer ist etwas zu finden.
Also danke schonmal für die Antwort.
Vielleicht kommt ja noch mehr...
07.11.07, 23:05:10
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Gast
(Gastzugang)

@ drvaust
So wie ich es beurteilen kann (und dass ist nach so kurzer Zeit wohl nicht so besonders gut) liegt es bei ihm unter anderem auch an der unberechenbarkeit... wie gesagt, wenn er vorbereitet ist geht das wohl auch. Mir ist auch aufgefallen, dass er manchmal sehr heftig reagieren kann, wenn man hinter ihm geht. Vielleicht hat er dann das Gefühl dass man sich "anschleicht"; ich hab auf jeden Fall den Eindruck dass diese Reaktionen oft aus dem Schreckmoment resultieren.
Wenn du sagst :"Je nach Art der Berührung", was meinst du damit?
Bei ihm ist es nämlich so, dass er, wenn er es zulässt, "harte Berührungen" bevorzugt; also sowas wie streicheln mag er nicht.
Danke für die Antwort.
Es ist doch was anderes sich mit jemandem zu unterhalten, als nur durch Beobachtungen zu schlussfolgern.
07.11.07, 23:27:27
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drvaust
(stillgelegt)

Zitat von Gast:
Weil viele Autisten "gerschärfte" Sinne haben? Oder ist das ein Vorurteil?
Ich weiß nicht, wie das bei Nichtautisten ist. Es könnte an einer geringeren Filterung der Sinnesreize liegen, einer schnelleren Überlastung.
Zitat von Gast:
Bei ihm ist es manchmal so, dass wenn man vorher bescheid sagt, darf man ihn schon anfassen. Und wenn er den ersten Schritt macht lässt er es auch manchmal zu.
liegt es bei ihm unter anderem auch an der unberechenbarkeit... wie gesagt, wenn er vorbereitet ist geht das wohl auch. Mir ist auch aufgefallen, dass er manchmal sehr heftig reagieren kann, wenn man hinter ihm geht. ... ich hab auf jeden Fall den Eindruck dass diese Reaktionen oft aus dem Schreckmoment resultieren.
Vielleicht eine stärkere Unsicherheit in der fremden NA-Welt, deshalb stärkeres Misstrauen, Angst vor unbekannter Bedrohung. Bei Autisten kommt es schneller zu einer Reizüberflutung, einer Überlastung. Die Umwelt wird stärker als unübersichtlich chaotisch wahrgenommen. Deshalb werden teilweise die Sinne eingeschränkt, was aber die mögliche Gefahr verstärkt.
Zitat von Gast:
Bei ihm ist es nämlich so, dass er, wenn er es zulässt, "harte Berührungen" bevorzugt; also sowas wie streicheln mag er nicht.
Eine 'harte Berührung' ist konkreter, klarer, sachlicher. Nicht nur eine leichte Andeutung. Da ist auch etwas Gefühlsmäßiges, das bei einer 'harten Berührung' nicht auftritt, ich weiß nicht was.
08.11.07, 03:16:33
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arlette
(Autistenbereich)

Zitat von Gast:
Weil viele Autisten "gerschärfte" Sinne haben? Oder ist das ein Vorurteil?
Bei ihm ist es manchmal so, dass wenn man vorher bescheid sagt, darf man ihn schon anfassen. Und wenn er den ersten Schritt macht lässt er es auch manchmal zu. An manchen Tagen lässt er sich sogar dazu hin reißen Leute zu umarmen... Das kommt wohl aber nur sehr selten vor.

geschärfte sinne: es ist sehr individuell, was als belastender reiz empfunden wird. einige halten einige frequenzen nicht aus, andere gewisse arten von berührung nicht. es gibt nicht wenige, die sanfte berührungen gar nicht ertragen, bei ‚hart angefasst’ werden jedoch nicht so ein problem haben. ich kann es so beschreiben: kleine wunden oder sanfte berührungen ertrage ich kaum, da es ‚diffus verarbeitet’ wird und enorm viel 'information' durch die nervenbahnen 'gejagt werden'; ich kann es nicht genau lokalisieren, empfinde es gleichzeitig als schmerzhaft und verstörend, es verwirrt mich und macht mich enorm agressiv. das gleiche bei hochfrequenzigen tönen. starke schmerzen z.b. jedoch machen mir sehr wenig mühe, da ertrage ich überdurchschnittlich viel.

zum anfassen: es gibt auch NA’s, die nicht gerne angefasst werden, weil es ein überschreiten einer intimitätsgrenze ist. zudem ist unangemeldetes anfassen ein unterbrechen einer routine oder zerstören eines ‚aktuell statischen’ zustandes, was enorme unruhe und je nachdem verstörung und agression auslösen kann.
08.11.07, 09:26:00
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drvaust
(stillgelegt)

Zitat von Gast:
Bei ihm ist es manchmal so, dass wenn man vorher bescheid sagt, darf man ihn schon anfassen. Und wenn er den ersten Schritt macht lässt er es auch manchmal zu. An manchen Tagen lässt er sich sogar dazu hin reißen Leute zu umarmen...
Wozu überhaupt Berührung? Läßt sich das nicht vermeiden?
Die meisten NA sind der Meinung, daß Berührung, Umarmung u.ä. schön und gut ist, daß das gebraucht wird. Das führt dann zu solchen Foltermethoden wie Festhalte-'Therapie'. Zumindest für mich sind Berührungen unangenehm. Ich habe zwar gelernt, daß das gut gemeint ist, ich kann mich auch über die gute Absicht freuen, aber es fühlt sich schlecht an, ist verletzend.
08.11.07, 22:59:46
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Gast
(Gastzugang)

Ich weiß schon was du meinst. Natürlich ist Berührung keine Notwendigkeit oder so. Grade wenn es für das Gegenüber unangenehm ist.
Festhalte "Therapie" sagt mir so direkt nichts, aber das Wort erklärt sich ja eigentlich von selbst.
Die Leute mit dene ich zusammen arbeite haben allerdings alle irgendeine Form von Behinderung. Der Junge Mann von dem ich hier berichtet habe, braucht z.B komplette Unterstützung bei der Körperpflege, zum einen weil er Motorisch einfach nicht dazu in der Lage ist, und weil er sich nicht so lange am Stück darauf konzentrieren kann. Da ist Berührung halt eine Notwendigkeit.
Heute hat er mir 2 Umarmungen gegeben. Nur flüchtig, aber ich habe mich sehr darüber gefreut und ich war auch sehr überrascht. Eine meiner Kolleginnen hat mir erzählt, dass er bei ihr erst nach 3 Jahren dazu bereit war. Da war ich heute echt erstaunt. Ich bin ja noch fremd.
09.11.07, 02:09:40
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arlette
(Autistenbereich)

Zitat von Gast:
Da ist Berührung halt eine Notwendigkeit.

eine möglichkeit wäre, den immer gleichen ablauf der körperhygiene auch bildlich darzustellen. dann weiss er, was ihn erwartet.
10.11.07, 16:27:41
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Gast
(Gastzugang)

Arlette, genau diese Methode wird in dem Wohnprojekt benutzt. Die arbeiten da mit einer Theorie die TEACCH heißt, und soweit ich das richtig verstanden hab, wird versucht durch verschiedene Systeme, z.B Farben, Formen, Bildern oder halt Piktogrammen, die für jeden Menschen passende Lern- und Lebenshilfe zu bieten.
Er benutzt seine Piktogramme überall. Beim Zähneputzen gibt es keine Probleme und beim Waschen so gesehen auch nicht, aber ich kann spüren das es ihm nicht gefällt; unter anderem an seinem Gesichtsausdruck. Nur was kann man dabei tun? Körperpflege muss ja sein, aber ich will ihm ja kein Unbehagen bereiten.
Die meisten der Menschen die dort Wohnen brauchen/benutzen Piktogramme um z.B ihren Tagesablauf zu verbildlichen ( dazu gehört Körperpflege sowie Arbeit und Essn ebenso wie Freizeitaktivitäten) social Storys bei anlässen wie Arztbesuche, Frisörbesuche, aber auch Einschlafrituale,Spaziergänge etc. Einige gebrauchen das viel, andere nutzen es nur um sich Sicherheit zu verschaffen.
An und für sich finde ich diese Methode echt interessant und gut, denn dadurch soll den Menschen soviel Selbstständigkeit wie möglich gegeben werden. Manchmal habe ich jedoch den eindruck, dass die Pädagogen den Bewohnern zu wenig zu trauen.
Die haben mich teilweise schon so verarscht... :o)
Ich muss mich echt nochmal bedanken für die Antworten und Respons.
Hab hier im Forum noch viele spannende Themen gefunden und ich werde mich definitiv weiterhin mit Autismus beschäftigen. Vielleicht weiß ich jetzt, welche Richtung ich einschlagen werde, wenn ich mich später mal um einen Job bemühen muss.
13.11.07, 19:48:43
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arlette
(Autistenbereich)

Zitat von Gast:
anderem an seinem Gesichtsausdruck. Nur was kann man dabei tun? Körperpflege muss ja sein, aber ich will ihm ja kein Unbehagen bereiten.

meine kinder hassten während ihrer kleinkinderzeit die berührung von wasser auf ihrer kopfhaut. trotzdem musste ich ihnen zwischendurch die haare waschen. das geschrei war grauenhaft (erstens ertrage ich kaum kreischen und zweitens musste ich die nachbarn früher oder später jeweils persönlich informieren, dass ich meine kinder NICHT verprügle, sondern nur dusche..). ich habe mich bei dieser prozedur auf den standpunkt gestellt, dass ich mit dem bildlichen darstellen, dem kommunizieren davor und dem immer gleichen ablauf der prozedur das maximum von meiner seite her getan habe.
nach der prozedur gab es ein "so, das haben wir jetzt geschafft und sind beide froh" und ein bilderbuch. mehr diskutiert oder mir gedanken gemacht habe ich nicht, da gewisse dinge einfach erledigt werden müssen.
14.11.07, 12:05:22
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