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Weil sie sich immer eine Tochter gewünscht hatte, ließ Sarah Susan Phillips Lovecraft ihren am 20. August 1890 in Providence im US-Bundesstaat Rhode Island geborenen Sohn Mädchensachen tragen und war stolz auf seine langen, blonden Locken. Seit Lovecrafts Vater 1893 wegen Zwangsvorstellungen eingewiesen wurde, erzog sie das Einzelkind allein. Solange er sich diese Rolle gefallen ließ, genoss Lovecraft die Zuneigung seiner Mutter. Statt der verhassten Meeresfrüchte durfte er sich raue Mengen an Eiscreme und Schokolade hineinstopfen - solange er nur seine Kleider anbehielt.
Erst mit sechs Jahren probte der Sohn den Aufstand - und ließ sich die Haare abschneiden. Daraufhin wandelte sich die Mutterliebe in Hass. Sarah Lovecraft vermied jeden Körperkontakt mit ihrem Kind und redete ihm lebenslange Komplexe ein - sein Gesicht sei scheußlich. "Das Haus hatte einen eigenartigen, muffigen Geruch, und die Stimmung war irgendwie unheimlich", beschrieb die Nachbarin Clara G. Hess einen Besuch bei Lovecrafts. Isoliert und emotional verarmt fand der hochintelligente Lovecraft in Büchern Zuflucht.
Mit zwei Jahren rezitierte er Gedichte, mit vier Jahren konnte er lesen. Tausende Bände umfasste die Bibliothek im Haus von Lovecrafts Großvater, in dem die Familie zusammenlebte. Sagen, Märchen, Erzählungen aus "Tausendundeiner Nacht" las Lovecraft am liebsten. Chemie, Astronomie, alte Sprachen - kaum etwas, woran er nicht interessiert war. Schließlich begann der Junge, selbst Gedichte und Erzählungen zu schreiben.
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Nach der Trennung fristete Lovecraft sein Leben in seiner kleinen Unterkunft in Providence, schrieb Geschichten und ernährte sich von Süßkram, Käse und kalten Bohnen, die er aus der Dose aß. Die paar Dollar, die er mit vor allem mit Textüberarbeitungen für andere Autoren verdiente, investierte er größtenteils in Briefpapier und Marken. Kontakt zur Außenwelt hielt er vor allem auf dem Postweg. Rund 100.000 Briefe soll er im Laufe seines Lebens an seine Freunde verschickt haben.
Seine literarische Ausbeute war viel geringer. Etwa 40 Kurzgeschichten und einige ausführlichere Erzählungen hinterließ Lovecraft bei seinem Tod, mit keiner hat er jemals nennenswert Geld verdient. 1937 starb er verarmt an Krebs. "Mein Leben ist so still, so ereignislos und so unauffällig verlaufen, dass es zu Papier gebracht, bestenfalls erbärmlich, glanzlos und fade erscheinen muss", schrieb er in seinen autobiografischen Aufzeichnungen. Ihr Titel? "Einige Anmerkungen zu einer Null".