Zitat:
Er war der Chef vom Ganzen. „Ich bestimme. Ihr tanzt nach meiner Pfeife.“ Wenn der Fahrdienst wie immer pünktlich um 7.45 Uhr kam, dann kam Hans wie immer 7.47 Uhr. So viel Zeit musste sein. „Wer legt denn fest, dass der neue Tag um null Uhr eins beginnt?“ Artikel eins seines ganz persönlichen Grundgesetzes: „Das System lehne ich ab!“ – „Welches System?“ – „Jedes System!“
Sein Äußeres entsprach durchaus seinem Selbstbewusstsein. Hans Zerban hatte ein sehr präsidiales Auftreten, und er war von daher auch nicht abgeneigt, sich für das höchste Staatsamt vorzuschlagen, als Christian Wulff zurücktrat. „Das wäre was für mich gewesen. Ich hätte auch kein Geld angenommen.“
Es gab eine Menge Ämter, die er sich vorstellen konnte, entsprechend viele Schirmmützen und Käppis hatte er gesammelt. Er hätte Kapitän werden können, Pilot, Regierender Bürgermeister, Weltmeister, Polizeichef, Sicherheitsbeamter.
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Hinter ihm lagen viele Jahre in der Diakonie und der Nervenklinik. Daran wäre er fast zerbrochen. „Das war eine harte Strafe, darüber möchte ich nicht mehr reden.“ „Vieles ist Vergangenheit. Vergangenheit, die hab’ ich vergessen.“ Die Gegenwart forderte ihn.
Hans Zerban hatte etwas ganz Spezielles, ein 47. Chromosom nämlich, ein Chromosom mehr als üblich, und das in jeder Zelle: Down-Syndrom. „Ich bin ein Mongole. Die sind immer was ganz Besonderes.“ Das ist ein Defekt, hieß es früher. Ein Mangel. Hans sah das anders.
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In den Jahren nach dem Krieg ließ man seine Sicht nicht gelten. In den Pflegeeinrichtungen wurde alles getan, ihn systemtauglich zu machen. Mit Medikamenten, mit Dressur, mit brutalem Körpereinsatz: Vier halten fest, einer duscht.
Er war ein fröhliches Kind gewesen. Aber mit Zwang konnte er nicht umgehen. „Die Schule war nix für mich, immer musste ich mich umstellen, die ganze Umgebung. Ich war schon als Kind ein Dickkopf, mehr als die anderen. Mir schreibt keiner was vor.“ Er hatte eine Menge Spaß als Kind. „Kommt die Feuerwehr, wenn man den Feuermelderknopf drückt?“ Sie kam. Aber den Spaß verstanden nicht alle. Erst im Haus der Stadtgemeinschaft hatte er das Glück auf Menschen zu treffen, die ihn mochten, wie er war. Auch wenn er zuweilen sehr fordernd sein konnte, noch dazu in sehr unterschiedliche Richtungen: „Ich mach das! Hilf mir doch mal!“
Das sollte einer verstehen? Das konnte einer verstehen, wenn er seinen Humor teilte. Was schwerst mehrfach normale Menschen manchmal nicht begreifen, ist, dass jeder Mensch ein Wesen hat, das nicht behindert ist. Hans fühlte sich nie als Außenseiter. Die Leute, die ihm halfen, taten es, weil es ihm zustand, nicht weil er es nötig hatte.
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Schokolade, Piccolo, Blümchen, alles fürs persönliche Wohlergehen und das der anderen. Außerdem legte er nach wie vor Wert darauf, adrett daherzukommen. Die Hosenträger mussten akkurat sitzen, denn Chef ist man ein Leben lang.
„Ich sterbe nie.“ Aber dann fühlte er es doch: „Ich feier dieses Jahr keinen Geburtstag mehr.“ An den Tropf wollte er nicht. Und ins Krankenhaus schon gar nicht. Also stellte er Essen und Trinken ein. Der Tod kam um 7.45 Uhr. Diesmal war Hans pünktlich.