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Wursthans
(stillgelegt)

Gibt es mehrere ursächlich verschiedene Autismus-Formen?
_OO_
20/05/2006 09:45

Der Titel des Forums läßt die Frage ausdrücklich offen. Was meint ihr dazu? Ich glaube man sollte Autismus als Sammelbegriff unterschiedlicher neurologischer Begebenheiten betrachten.

Aber wo zieht man die Grenze? Ich denke es gibt auf jeden Fall unterschiedliche Gruppen von Autisten, die einander in Abgrenzung zu anderen Gruppen von Autisten mehr ähneln. Wenn Autismus weitgehend genetisch induziert wird, warum sollte es z.B. nicht auch eine pränatal erworbene Form von Autismus geben, die sich nach der heutigen groben Syndrom-Definition nicht von den anderen unterscheiden lässt? Vielleicht gibt es verschiedene epigenetische Einflüsse?

[Auf eigenen Wunsch deaktiviert und anonymisiert, mfg [55555]]
13.06.06, 18:37:27
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Lisa M.
(Standard)

RE: Gibt es mehrere ursächlich verschiedene Autismus-Formen?
Lisa M.
22/05/2006 17:05

Das ist genau das, was mir momentan auch durch den Kopf geht. In einem Artikel in der Zeitschrift "Gehirn & Geist" hab ich letztes Jahr mal gelesen, dass die Genetiker so etwa 20 verschiedene an der Entstehung von Autismus beteiligte Gene vermuten. Wenn sie damit richtig liegen, dann ergibt sich allein schon daraus m.E., dass man wohl besser von "Autismen" sprechen sollte. Außerdem habe ich Menschen mit AS-Diagnose "life" kennengelernt, und sie sind dermaßen unterschiedlich, dass ich mich frage, wie man da bloß "immer dasselbe Syndrom" diagnostizieren kann?! Ich halte "Autismus" im Moment für einen Sammelbegriff, der ähnlich präzise ist wie "MCD" (minimale cerebrale Dysfunktion - der Begriff ist "out", aber ich finde ihn gar nicht so übel, weil er so schön "leer" ist. zwinkern ). Das sollte übrigens nicht heißen, dass ich meine, die Begriffe wären austauschbar. Eher so rum, dass "MCD" ein noch umfassenderes Sammelsurium ist, von dem das "autistische Spektrum" sowas wie ‘ne Untergruppe bildet.

Zu den Ursachen hab ich gelesen, dass wohl auch Hirnhautentzündungen bei Kindern Autismus verursachen können.

Sämtliche Angaben erfolgen nach bestem Wissen und Gewissen, im Bemühen um Logik, Nachprüfbarkeit und Einhaltung der kulturell bedingten Realitätsvereinbarung.
13.06.06, 20:27:00
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Wursthans
(stillgelegt)

RE: Gibt es mehrere ursächlich verschiedene Autismus-Formen?
_OO_
22/05/2006 21:41

Röteln in der Schwangerschaft (gibt da bestimmt einen genaueren Zeitkorridor) sollen das Risiko für autistische Kinder verzehnfachen habe ich mal gelesen. Das wäre auch so eine Angelegenheit wo schon fraglich ist ob Autismus in dem Maße vererblich ist. Gut, vererben kann sich ein sozusagen erhöhtes Risiko, das durch Auslöser aktiviert wird. Auch die Angelegenheit, daß Autisten signifikant höher eine schwere Geburt erlebt hatten ist in dieser Hinsicht interessant.

Wenn es Auslöser gibt scheinen sie sehr früh in der Entwicklung des Kindes zu liegen. Aber wenn es einen fließenden Übergang zur Normalität gibt und solche Auslöser müßte man diese durch Studien herausbekommen.

[Auf eigenen Wunsch deaktiviert und anonymisiert, mfg [55555]]
13.06.06, 20:27:11
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Lisa M.
(Standard)

RE: Gibt es mehrere ursächlich verschiedene Autismus-Formen?
Lisa_M.
23/05/2006 19:18

Von Röteln habe ich in dem Zusammenhang noch nie was gehört. Aber gerade vorhin hab ich das Buch "Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte" von Oliver Sacks durchgelesen, und da wird die Geschichte von jemandem erzählt, der seinen Autismus im Alter von 8 Jahren wohl durch eine Hirnhautentzündung erworben hat.

Was mich angeht, überlege ich auch, ob sowas nicht eher sein könnte... (Wenn auch nur ein "minimaler" Autismus, im Gegensatz zu dem Mann bei Sacks.) Ich bin mit einer Mittelohrentzündung auf die Welt gekommen, die zunächst nicht diagnostiziert wurde, weil man bei einem Baby ja nicht weiß, weshalb es brüllt. Noch heute kriege ich furchtbare Ohrenschmerzen, wenn die mal kalt werden im Winter. Und mit drei Jahren war ich ‘ne Woche im Krankenhaus wegen ständigen Bauchschmerzen. Eine Ursache wurde nicht festgestellt. Aber nachdem ich zufällig mal über einen Zusammenhang zwischen Hirnhautentzündung und Autismus was gelesen hatte, dachte ich, ob da vielleicht ein Zusammenhang sein könnte zur Mittelohrentzündung - und siehe da, ich wurde mehr als fündig: Mittelohrentzündung kann zu Hirnhautentzündung führen, die wiederum kann anscheinend auch schleichender verlaufen, und - Bauchschmerzen als Symptom haben!

Es wäre allerdings erstaunlich, wenn sie das im Krankenhaus übersehen hätten, und überhaupt kann man im Nachhinein nur sagen, dass sich diese Puzzleteilchen besser zusammengefügt haben, als ich erwartet hatte. Ich dachte nämlich, dieser Idee nachzugehen, sei Unfug, aber halt nicht sehr aufwändig, und dann macht man das mal eben.

Insgesamt finde ich es im Sinne des systemorientierten Ansatzes völlig logisch, dass eine komplexe Erscheinung wie "Autismus" verschiedene Ursachen haben kann. Allein schon deshalb bin ich skeptisch, wenn Wissenschaftler meinen, sie seien *der* Ursache auf die Spur gekommen.

Über einen Artikel in der erwähnten Zeitschrift habe ich mich übrigens in diesem Sinne köstlich beömmelt ("Sprachlos wegen der Gene" von Olaf Schmidt in G&G 5/2003). Da heißt es, Forscher hätten die ersten Gene identifiziert, die bei Autismus eine Rolle spielen würden. Und zwar haben sie 158 Familien mit autistischen Mehrlingen untersucht, und bei *zwei* betroffenen Zwillingsbrüder-Paaren wurden sie fündig: Dieselben zwei Gene wären kaputt! Jeweils war der eine Bruder Kanner-Autist und der andere Asperger. Zwar zitiert der Artikel auch eine skeptische Stimme, dass anscheinend keines dieser Gene eine größere Rolle spiele als Ursache von Autismus, aber im vorletzten Absatz heißt es trotzdem: "Denn erst wenn sie dort fündig werden (d.h. in der DNA), gilt der Zusammenhang mit Autismus als eindeutig bewiesen - so wie es jetzt Gillberg und Bourgeron im Fall der beiden Neurolingin-Gene gelang."

- Von einer Kontrollgruppe von 158 NT-Zwillingspaaren ist nicht die Rede...

Leider habe ich es versäumt, mich in der Studienzeit mit Statistik zu befassen. Qualitative Verfahren erschienen mir interessanter, und das sind sie auch. Aber jetzt wünschte ich doch, ich könnte errechnen, welche statistische Signifikanz bei "2 von 158" - noch dazu ohne Kontrollgruppe - vorliegt! Dass das Gen jeweils bei beiden Brüdern ‘nen Schaden hat, kann man jedenfalls auf pure Familienähnlichkeit zurückführen. Sie dürften noch mehr Gene gemeinsam haben.

Sämtliche Angaben erfolgen nach bestem Wissen und Gewissen, im Bemühen um Logik, Nachprüfbarkeit und Einhaltung der kulturell bedingten Realitätsvereinbarung.
13.06.06, 20:27:32
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DrChaoZ
(Autistenbereich)

RE: Gibt es mehrere ursächlich verschiedene Autismus-Formen?
DrChaoZ
05/06/2006 18:14

vorschlag zur kontroverse in den raum geworfen:
übermässige verwendung digitaler medien und starke spezialinteressen führen zu einer form des erworbenen autismus.
13.06.06, 20:27:52
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Wursthans
(stillgelegt)

RE: Gibt es mehrere ursächlich verschiedene Autismus-Formen?
_OO_
05/06/2006 20:44

Wie war das "und" in logischer Hinsicht gemeint? Sollte es ausdrücken, daß beides zusammentreffen muß oder, daß beides für sich eine Form von erworbenem Autismus auslösen kann?

[Auf eigenen Wunsch deaktiviert und anonymisiert, mfg [55555]]
13.06.06, 20:28:10
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DrChaoZ
(Autistenbereich)

RE: Gibt es mehrere ursächlich verschiedene Autismus-Formen?
DrChaoZ
10/06/2006 00:05

ja das und war logisch gemeint.
ich erkläre es wie folgt:
die verwendung des computers als beispiel für die verwendung eines digitalen mediums beansprucht zeit. ebenso wie starke spezialinteressen. für jedes allein bleibt im wesentlichen genügend zeit übrig um sich sozialen dingen zu widmen. beides zusammen beansprucht nach meiner zur kontroverse gestellten idee, eine so hohe zeitliche anforderung dass soziale dinge erst in den hintergrund gedrängt werden bis sie schrittweise für die betroffene person völlig unwichtig werden. das und ist weiterhin nötig, weil nicht alle computerbenutzer autistische merkmale zeigen, ebenso wenig wie alle menschen die starke spezialinteressen verfolgen.
aber das soll keine festgemauerte meinung sein, sondern eine diskussionsgrundlage. die idee des erworbenen autismus hatte ich schon einige zeit und ich stelle bei mir selbst fest dass seit her ich selbst primär mit dem computer arbeite, also auch damit meinen lebensunterhalt verdiene, viele soziale interessen die ich mir einst antrainierte wieder in den hintergrund rücken. als ich noch im sozialen bereich arbeitete hatte ich auch eine höhere soziale kompetenz. die theorie dass diese aber nur trainiert war bestätigt sich dadurch dass die entsprechenden fähigkeiten wieder abnehmen jetzt wo es mir an entsprechendem training mangelt. allerdings fühle ich mich selbst wesentlich entspannter und weniger gestresst. das heisst meine lebensqualität ist gesteigert obwohl ich weniger sozialen interaktionen nachgehe.
13.06.06, 20:28:30
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Lisa M.
(Standard)

RE: Gibt es mehrere ursächlich verschiedene Autismus-Formen?
Lisa_M.
10/06/2006 01:54

Hallo DrChaos,

das ist genau die Entwicklung, die ich bei mir auch beobachte und einerseits bedenklich finde und tüchtig mit mir schimpfe, aber andererseits fehlt halt der Leidensdruck, um was dran zu ändern... Ob man auf die Art gleich einen kompletten Autismus erwerben kann, bezweifele ich ein wenig, aber so im Wechselverhältnis gesehen stimme ich da voll zu. Einerseits würde ein Mensch ohne entsprechende Neigungen sein Leben wohl kaum freiwillig so gestalten - und andererseits formt die Tätigkeit das Gehirn, und das nicht nur bei Kindern.

Sämtliche Angaben erfolgen nach bestem Wissen und Gewissen, im Bemühen um Logik, Nachprüfbarkeit und Einhaltung der kulturell bedingten Realitätsvereinbarung.
13.06.06, 20:29:00
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Wursthans
(stillgelegt)

RE: Gibt es mehrere ursächlich verschiedene Autismus-Formen?
_OO_
10/06/2006 09:43

Erweitert könnte man behaupten, daß der Kontakt von Kindern in einem gewissem Alter zu einer autismusähnlichen Prägung führen kann. In einem gewissen Maß kann ich mir das vorstellen und hier ist wieder die Frage wie man Autismus definiert.

Aber zu der aktuellen Diskussionsvorlage kann ich eigene Erfahrung beitragen, die so wohl nicht jeder gemacht hat:
Vor 2005 hatte ich einen PC, jedoch benutzte ich ihn regelmäßig nicht mehr als drei Stunden in der Woche. Danach legten wir uns hier DSL zu und ich begann mich seit über fünf Jahren wieder intensiver mit dem Internet zu beschäftigen und bin sehr viel am PC.
Vor 2005 war mir einmal meine Festplatte gecrasht und ich hatte ungefähr ein halbes Jahr keinen PC der funktionierte, weil ich es nicht schaffte mir eine Festplatte zu besorgen. In diesen Jahren kann man also nicht behaupten ich wäre viel einem PC ausgesetzt gewesen. Trotzdem nehme ich stark an, daß gerade in dieser Zeit der Hauptteil meines Burnouts entstanden war. Seit ich deutlich mehr am PC bin hat sich mein Leben wieder stabilisiert. Vorher erlebte ich mich oft als hin und hergeworfen zwischen Menschen und war die meiste Zeit alleine. Ich glaube, daß meine Sozialkompetenz gestiegen ist seit ich mehr am PC bin. Deswegen kann ich dieses Modell für mich nicht nachvollziehen. Aber es mag sein, daß es so ist indem Menschen sich durch ihre Betätigung ändern indem sie sich deren Anforderungen angleichen.

[Auf eigenen Wunsch deaktiviert und anonymisiert, mfg [55555]]
13.06.06, 20:29:22
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