30.03.14, 13:03:55
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diesen Pathologisiererartikel etwas um:
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Pharmakonzerne versuchen durch die Erforschung der Genmutationen, die für Schmerzunempfindlichkeit verantwortlich sind, Medikamente für Schmerzpatienten
zu entwickeln. Am weitesten dürfte der israelische Pharmakonzern Teva sein: Auf der Basis einer anderen Genmutation als in Meggies Fall testet er derzeit ein Mittel namens XEN402.
In Deutschland leiden etwa zwölf Millionen Menschen unter chronischen Schmerzen. Etwa ein Drittel von ihnen ist durch die Schmerzen stark beeinträchtigt.
Rund 1,9 Millionen Menschen sind hierzulande medikamentenabhängig, davon etwa 500 000 süchtig nach Schmerzmitteln.
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Der berühmte Kniesehnenreflex, bei dem der Arzt mit einem kurzen Klopfen auf das Knie den Unterschenkel vorschnellen lässt, funktioniert bei Meggie nicht. Ohne Saugreflex konnte sie nicht nuckeln, also ernährten die Ärzte sie künstlich. Dass sie auch keinen Würgereflex hatte, »beunruhigte die Ärzte ohne Ende, denn wenn etwas in die Luftröhre gerät, könnte sie ersticken«, erinnert sich der Vater. Diese Gefahr besteht bis heute.
Viele denken, wer keinen Schmerz fühlt, muss gefühllos sein, aber das ist ein Missverständnis: Wir alle haben Nerven, die Berührungen und Druck melden, auch Meggie. Meggie spürt jeden Händedruck und sie kann den Fuß mit Gefühl auf das Gaspedal senken, wenn sie Auto fährt. Aber die extrem dünnen Nervenfasern, die speziell für Schmerz und Temperatur zuständig sind, leiten bei ihr die Information nicht ans Gehirn weiter.
Was genau empfindet sie, wenn andere Schmerz fühlen würden? Etwa nach ihrer Hüftoperation, bei der ihr beide Oberschenkelhalsknochen gebrochen wurden? Meggie guckt unsicher zu ihrer Mutter, sie kann die Frage nicht beantworten. Es ist, als bitte man einen Farbenblinden um eine Beschreibung von Rot.
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Die anderen HSAN-Kinder, die Meggie kennt, haben ähnliche Symptome, und doch ist jedes anders. Eine 31 Jahre alte Freundin von ihr kann nicht fühlen, wenn ihre Füße auf dem Erdboden auftreffen, und sitzt deshalb im Rollstuhl. Ashlyn Blocker, ein 15-jähriges Mädchen in Georgia, kann sich normal bewegen, aber sie hat sich als Kleinkind massiv selbst verstümmelt. »Am Anfang sagten immer alle Ärzte: Sie haben einfach ein glückliches Kind. Sie schrie bei der Geburt nicht, sie schrie nicht, als sie sich am Auge verletzte«, erzählt ihre Mutter Tara Blocker. »Die Kleinkind-Jahre waren mit Abstand die schlimmsten Jahre, weil Kinder in dem Alter die Welt erforschen. In diesen Jahren fungiert Schmerz als Lehrer für ein Kind. Wir mussten Ashlyns Arme in Verbände einwickeln, weil sie sich ständig selbst verletzte, sich die Haut von den Fingern biss. Wir nannten sie unseren kleinen Boxer, weil sie immer so aussah, als käme sie gerade aus dem Ring.« Mehrere Eltern wurden von Ärzten der Misshandlung beschuldigt, wegen der massiven Verletzungen wären ihnen die Kinder beinahe vom Jugendamt weggenommen worden, bevor die Diagnose die vielen Wunden erklärte.
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Wie genau all diese Symptome – der Hörverlust, die Gelenkprobleme, der Mangel an Reflexen, das leichte Nuscheln – mit der Genmutation zusammenhängen, erkunden Ärzte weltweit. Fünf verschiedene HSAN-Varianten haben sie identifiziert, und insgesamt zehn Gene, die dafür verantwortlich sind. Meggies Genom wird gerade in Harvard entschlüsselt. Bei manchen Varianten können Forscher bereits den genetischen Marker isolieren, bei Meggie nicht.
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Sie hat selbst versucht, Fußball und Baseball zu spielen, aber als ein 100-Kilo-Kerl bei einem Turnier das schmächtige 35-Kilo-Mädchen über den Haufen rannte, verboten ihr die Eltern den Sport. Meggie versucht, sich »auf die Sachen zu konzentrieren, die ich machen kann. Das Zweitbeste ist, einer der hartgesottensten Fans meiner Reds zu sein und eine wandelnde Enzyklopädie der Baseball-Geschichte«. Baseball-Funktionär Bud Selig war so beeindruckt von ihrem Engagement, dass er ihr eine bezahlte Stelle anbot.
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Meggie schwankt durch die volle Festhalle in Cincinnati wie ein Segelboot auf rauer See, torkelt im Gang von einer Seite zur anderen, hin und wieder stürzt sie. Aber trotz ihres unzuverlässigen Gleichgewichtssinns gibt sie Gas. Mit dem Rekorder in der Hand bestürmt sie die Spieler mit Fragen. Und die stehen Schlange für sie. Starathlet Todd Frazier spricht »lieber mit Meggie als mit allen anderen Reportern«, sagt er, nachdem er sie mit einem herzlichen High Five begrüßt hat, »sie kennt jedes Spiel, jedes Ergebnis, die Geschichte des Baseball, alles. Sie stellt wirklich gute Fragen«.
Baseball ist ein Teamsport, und sie gehört zum Team. Zu ihrem 16. Geburtstag, als sie nach ihrer jüngsten Rückenoperation im Krankenhaus lag, ernannte das Team sie zum »wertvollsten Spieler« und schickte ihr ein Trikot mit Meggies Namen und all ihren Unterschriften.
[...]
Teil des Teams zu sein ist überlebenswichtig für sie, weil sie kaum gleichaltrige Freunde hat. »Sie verstehen mich einfach nicht«, sagt sie. »Ich bin anders, und die Leute sehen das als negativ. Aber, hallo, was ist schon normal? Es macht keinen Sinn, normal zu sein, weil ohnehin jeder anders ist.« Die Einserschülerin wünscht sich nichts mehr, als dazuzugehören, aber es gibt einfach zu viele Teenager-Aktivitäten, an denen sie nicht teilnehmen kann. Sie kann zum Beispiel in den Pausen nicht mit den anderen in der Cafeteria sitzen, weil es für sie zu laut ist, als dass sie dem Gespräch folgen könnte. Sie isst nicht gern mit anderen, weil sie sich dafür schämt, dass ihr beim Essen oft Speichel und Speisereste aus dem Mund laufen. Justin Bieber, Mode, Make-up oder was andere Teenager sonst noch interessiert, findet sie ohnehin blöd.
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Während Meggie emotional und mental ihrem Alter weit voraus ist, hinkt sie in der körperlichen Entwicklung etwa drei Jahre hinterher. Meggies spitzbübisches Gesicht verzieht sich zu einer gequälten Grimasse, wenn sie für die kleine Schwester gehalten wird.
Meggie möchte selbst Kinder und sagt, sie werde sie lieben, egal ob sie mit HSAN geboren werden oder nicht.