11.01.13, 21:43:34
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Zitat:
Ungefähr eine halbe Million Kinder und Jugendliche in Deutschland sind behindert, nur 22 Prozent von ihnen besuchen aber eine reguläre Schule. Die anderen gehen auf Sonder- oder Förderschulen und verlassen diese meist ohne Abschluss und Berufsperspektiven. Im internationalen Vergleich sind laut Bertelsmann-Stiftung durchschnittlich 85 Prozent integriert.
Deutschland will nun aufholen. "Inklusion wird das Thema 2013", kündigt die Kultusministerkonferenz an und mahnt die Länder zur schnelleren Umsetzung. Wie üblich sind auch in diesem Bildungsbereich die Unterschiede gewaltig: Ganz vorn dabei ist Schleswig-Holstein, 49,9 Prozent aller behinderten Schüler waren dort im Jahr 2011 bereits integriert. Auch Berlin (43,9 Prozent) und Bremen (41,2 Prozent) sind schon weit gekommen, während Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen (16,9 und 16,1 Prozent) sowie Niedersachsen (8,5 Prozent) hinterherhinken.
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In Nordrhein-Westfalen wurde nach heftigen Protesten von Eltern, Lehrern und Kommunen im Dezember sogar der Gesetzentwurf für gemeinsamen Unterricht ab 2013 gekippt - sie seien noch nicht richtig vorbereitet und ausgestattet, klagten die Gegner.
Doch woran genau droht das Großprojekt zu scheitern?
* Pädagogen-Ausstattung: Viele Lehrer und Wissenschaftler fordern eine durchgängige Doppelbesetzung für die sogenannten I-Klassen. Doch kein Bundesland kann oder will das bezahlen. In Hamburg stellt die Behörde pro behindertem Kind für 3,5 Stunden in der Woche eine Tandembesetzung bereit. "Es ist eine Illusion, dass Inklusion mit dem derzeitigen Personal funktionieren kann. An einigen Tagen ist schlicht kein Unterricht möglich", sagt Dirk Mescher von der Lehrergewerkschaft GEW. Das sieht man bei der KMK anders: "Eine Doppelbesetzung ist nicht in allen Fällen pädagogisch erstrebenswert. Die Kinder sollen ja wirklich gemeinsam lernen", sagt Peter Wachtel aus Niedersachsen, bei der KMK zuständig für Inklusion, durch zwei Lehrer könnten sie wieder aufgeteilt werden.
* Pädagogen-Ausbildung: Behinderte Schüler zu unterrichten, haben Lehrer nicht behinderter Schüler nie gelernt. Deshalb gibt es jetzt Mini-Fortbildungen: Fünf Tage sind es beispielweise in Niedersachsen. "Die sind sehr unbeliebt und nicht zielführend", sagt Grewe. Es werde nicht genug differenziert, weder nach Fächern noch nach Behinderungen, hinterher seien sie kaum schlauer, klagen die Pädagogen. Dabei bräuchten doch Autisten eine ganz andere Ansprache als ADHS-Kinder.
* Problem soziale Vernachlässigung: Wer bei behinderten Schülern nur an Rollstühle, Hörgeräte und Spasmen denkt, liegt falsch. Kaum eine Schule ist bislang barrierefrei, Gehörlose und Blinde werden in der Regel auch nicht integriert. 75 Prozent der Schüler "mit Förderbedarf" haben vielmehr gravierende Probleme beim Lernen, mit der Sprache oder in ihrer sozialen und emotionalen Entwicklung. Ihre Verhaltensauffälligkeiten sind laut Mescher zumeist Folgen von Armut und Vernachlässigung. Es sind Kinder mit großem Störpotential und einem großen Bedürfnis nach Aufmerksamkeit.
* Problem "Restschulen": Nur 54 der rund 3500 Integrationsschüler in Hamburg besuchen ein Gymnasium. In anderen Bundesländern ist es ähnlich. Auch dort gehen behinderte Schüler zumeist auf Haupt-, Real- oder Gesamtschulen. Und da die meisten von ihnen aus sozial benachteiligten Verhältnissen kommen, sind es fast immer die Schulen in Problemvierteln, die nun doppelt belastet werden. "Die Gefahr besteht, dass einige Schulen zu Restschulen für Bildungsverlierer werden", sagt Mescher. Die Sorge ist nicht unbegründet: "Wenn die Integration wegen fehlender Finanzierung scheitert, wenden sich die an Bildung interessierten Eltern von der Stadtteilschule ab", droht die Hamburger Gemeinschaft der Elternräte an Stadtteilschulen. Auch einige Eltern von behinderten Kindern sind skeptisch. Sie haben Angst, dass Lernen unter diesen Umständen noch schwieriger wird.
Wissenschaftler Grewe fordert vor allem Bedächtigkeit: "Die Schulbehörden sollten mit wenigen Schulen anfangen, die sie richtig gut ausstatten. Dann kann Inklusion Schritt für Schritt ausgebaut werden ohne dass die Kinder ihrem Schicksal überlassen werden."
Quelle
Der Spiegel schaffte es in diesem Artikel offenbar wieder einmal nicht das aktuelle Behinderungsverständnis anzuwenden und setzte Inklusion falsch mit Integration gleich. Lobenswert erscheint mir aber die Darstellung, daß Inklusion nicht an sich zum scheitern verurteilt ist, sondern an Umständen der Umsetzung krankt.