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wenn Autisten schreiben und sprechen in der 3. Person

original Thema anzeigen

21.03.12, 12:33:04

wolfskind

welche erfahrungen habt ihr damit gemacht?
welche erklärungen habt ihr für euch gefunden?

mir fällt auf dass ich in der 3.person schreibe wenn ich aufgeregt bin.
dann vertausche ich auch du und ich. und ich und sie.
ich denke es hat nicht immer damit zu tun
dass ich mich distanzieren will.
oft greife ich das 'sie' zb auch aus einer konversation auf.
und meine damit mich.
21.03.12, 13:57:17

55555

Hat vielleicht damit zu tun, daß wir mitunter dazu neigen eine Situation aus der Ferne zu betrachten, obwohl wir persönlich involviert sind? Dann betrachten wir uns wohl mitunter in gewisser Hinsicht als eine Person von vielen, die in dieser Situation eine Rolle spielen?
21.03.12, 14:10:42

wolfskind

geändert von: wolfskind - 21.03.12, 14:41:48

Zitat von 55555:
Dann betrachten wir uns wohl mitunter in gewisser Hinsicht als eine Person von vielen, die in dieser Situation eine Rolle spielen?

ja. das ist aber nicht zu verwechseln mit distanzieren von leid.
ich denke dass es nicht immer ein schutz ist den wir anwenden
sondern auch teilweise situationsbedingt auftritt.
wenn ich etwas ausfülle wo es um mich geht
nach dem ich mich darüber ausgetauscht hatte
kommt es vor dass ich weiterhin 'sie' schreibe. weil es mir sinnvoll erscheint.
ebenso wenn ich einem gespräch folge
das über mich geführt wird.
ich verfasste schon ganze texte in der 3.person weil es mir besser verständlich war.
'ich' spielt für mich dann vielleicht eine weniger wichtige rolle als 'sie'

edit:

ich kann so besser Situationen erfassen und betrachten.
Ich denke NA würden dieses als "einen kühlen Kopf bewahren" bezeichnen ;)
21.03.12, 14:35:35

55555

Vielleicht wenn man sich darauf konzentriert die soziale Situation an sich zu erfassen?
21.03.12, 14:50:54

wolfskind

geändert von: wolfskind - 21.03.12, 15:09:36

ja. es wirkt auf andere möglicherweise kurios
ich machte die erfahrung dass man annahm ich hätte es nicht selbst geschrieben.
oder würde von jemand anderem sprechen.

edit:

vielleicht interessant:

Zitat:
Eine verständlichere und wahrscheinlichere Erklärung liefert FRITH (1992, 141f). Sie weist auf die „deiktische Funktion von Personalpronomen“ hin. Das bedeutet, dass der Gebrauch von Pronomen davon abhängt, wer Sprecher und wer Hörer ist. Befunde aus Experimenten und Beobachtungen zeigen auch, dass bei autistischen Kindern keine Verwirrung über die eigene psychische Identität herrscht. Eine Studie von R. JORDAN zeigt, dass Autisten Namen fast immer richtig verwenden, jedoch dazu neigen, Eigennamen zu gebrauchen, wo ihre nichtautistischen Altersgenossen Pronomen benutzen. Diese Ergebnisse kann man nach FRITH dahingehend interpretieren, dass autistische Kinder nur einem Drang nach lokaler, nicht nach globaler Kohärenz unterliegen. Sie ziehen nur eine begrenzte Informationsmenge auf einmal zusammen, wohingegen nichtautistische Kinder viel größere Informationsmengen berücksichtigen. Diese sind auch dazu fähig, nachzuvollziehen, wie Pronomen sich auf zuvor benutzte oder allseits verstandene Nomen beziehen.

Bei einer Äußerung behält man normalerweise den Standpunkt des Sprechers und des Zuhörers im Auge. Wessen Standpunkt in einem bestimmten Fall eingenommen wird, ist Gegenstand „sozialen Verhandelns“. Autistische Kinder haben Schwierigkeiten damit, den Standpunkt des Gesprächspartners einzunehmen und einzubeziehen.


Quelle

edit2:

Zitat:
Die Echolalie scheint ein auffälliger Ausdruck der Distanz zwischen den peripheren Verarbeitungssystemen und einem zentralen „Sinnessystem“ zu sein. Das autistische Kind nimmt selektiv Sprache auf und übersetzt das Gehörte wirksam in gesprochene Sprache. Jedoch scheint diese Verarbeitung das zentrale Denken gewissermaßen zu umgehen. Die Echolalie beweist, dass die Endprodukte einer hochentwickelten Informationsverarbeitung zu „Abfallprodukten“ werden können, da keine Interpretation von noch höheren Prozessen stattfindet. Obwohl sie perfekte phonetische, prosodische und syntaktische Einheiten sind, werden diese Produkte nicht in eine globale Bedeutung integriert. Hier besteht eine Diskrepanz zwischen dem Verstehen einer Mitteilung und dem einfachen Übermitteln. Viele autistische Kinder, die Sprache nicht völlig verstehen, sind trotzdem eindeutig in der Lage, Sprache aufzunehmen und sich auszudrücken. Sie nehmen die Mitteilung korrekt auf und geben sie ebenso korrekt wieder, jedoch suchen sie offenbar nicht nach dem Grund, aus dem die Botschaften übermittelt werden.

ich denke der grund ist hier eher
die nicht-barrierfreie Kommunikation,
wenn man mit mir direkt spricht
und ich nicht schriftlich antworten kann.
21.03.12, 17:31:36

55555

Zitat:
Diese Ergebnisse kann man nach FRITH dahingehend interpretieren, dass autistische Kinder nur einem Drang nach lokaler, nicht nach globaler Kohärenz unterliegen. Sie ziehen nur eine begrenzte Informationsmenge auf einmal zusammen, wohingegen nichtautistische Kinder viel größere Informationsmengen berücksichtigen.

Klar, ohne peinlich eSelbstversicherung der eigenen Großartigkeit können di emeisten NA sich wohl nicht damit auseinandersetzen. Kann irgendein NA nachempfinden, was dieser Mensch wohl meinen könnte?
Zitat:
Autistische Kinder haben Schwierigkeiten damit, den Standpunkt des Gesprächspartners einzunehmen und einzubeziehen.

Oder doch eher nichtautistische Autismusforscher? Ich würde eher sagen, daß Autisten sich weit mehr um eine neutrale und selbstkritische Reflektion bemühen und daher sich selbst gleichrangig mit den anderen Akteuren betrachten.
Zitat:
Die Echolalie beweist, dass die Endprodukte einer hochentwickelten Informationsverarbeitung zu „Abfallprodukten“ werden können, da keine Interpretation von noch höheren Prozessen stattfindet.

Nur weil man Phrasen wie Wörter benutzt erlaubt das nicht solche plumpen Schlußfolgerungen.
Zitat:
ich denke der grund ist hier eher
die nicht-barrierfreie Kommunikation,
wenn man mit mir direkt spricht
und ich nicht schriftlich antworten kann.

Deswegen kann man nervös sein, ja.
21.03.12, 18:03:37

PvdL

Mir ist das am Anfang mit meiner Frau oft so gegangen, daß ich ich/Du durcheinander gebracht habe. Inzwischen aber nicht mehr.
02.06.12, 18:03:09

tagtraeumer

Ich schreibe gerne in der dritten Person Singular, wenn ich jemanden persönlich anspreche. Nicht, dass ich nicht zwischen "du" und "er" unterscheiden könnte. Ich find's einfach nur extrem komisch :-). Es macht irgendwie Spaß und drückt gleichsam meine Sachlichkeit gegenüber meinen Mitmenschen aus.
02.06.12, 19:36:33

apeiron

Tagträumer, siehst Du das Leben als "Spiel"? Weil Du das Wort "Spaß" (zuvor extrem komisch, was sich wohl auf das Wort "Spaß" bezieht) und "Sachlichkeit" (darunter verstehe ich Unterhaltung) in einem Satz verwendest. Verwendest Du auch in ernsten Unterhaltungen die dritte Person Singular?

Vielleicht ist meine Frage unangebracht. Sie interessiert mich trotzdem, weil die nächste Frage dann wäre, ob Du mit der Einstellung "das Leben als Spaßakt" verstehen, gut "leben" kannst?

Vielleicht habe ich es auch falsch verstanden.
02.06.12, 19:57:17

tagtraeumer

Das Leben ist viel zu schade, um es nicht als spaßig anzusehen. Aber nein, in wirklich ernsten Unterhaltungen ist es mir noch nicht passiert, dass ich "aus versehen" in der dritten Person geredet habe.
28.04.17, 23:46:12

Gast

Immer noch der selbe nervige GST. 😉
Nicht nur Autisten reden von sich in der 3. Person (sofern ich nicht betroffen sein sollte🙃), ich rede in der man-Form, wenn ich mich distanzieren will, emotional. Wenn ich mich nur indirekt Puten will - "man" ist ein Allgemeinheitsbegriff.
29.04.17, 16:56:55

Kaleidoskop

Ich
Zitat von Gast:

Nicht nur Autisten reden von sich in der 3. Person (sofern ich nicht betroffen sein sollte🙃), ich rede in der man-Form, wenn ich mich distanzieren will, emotional. Wenn ich mich nur indirekt Outen will - "man" ist ein Allgemeinheitsbegriff.

"Man schafft einfach Distanz, sodass das, was man schreibt quasi nicht zu einem gehört, somit ist es weniger "gefährlich, möchte ich zu meinem gestrigen Beitrag noch ergänzen.
 
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