fragen eines interessierten zeitgenossen an autisten
22.05.09, 01:48:22
2120
und könnte ich ein beispiel kriegen für einen witz der aus eurer sicht NA's zum lachen bringt aber euch nicht und dann noch einen witz der euch zum lachen bringt?
erzähl doch mal einen...
denn ich muss feststellen das ich witze nicht nur nicht wirklich lustig find, sondern ich kann sie mir auch nicht merken
oder geht das hier nicht mit dem erzählen
ist die gestik wichtig dabei?
das würde einiges erklären
ich selbst amüsiere mich köstlich über mißgeschicke meinerselbst oder anderer...
z.b. hinfallen oder irgendwo gegen rennen
auch wenns manchmal nicht angebracht ist, was ich hin und wieder an den reaktionen anderer erkennen kann...
22.05.09, 01:49:03
hallo.
geändert von: hallo. - 22.05.09, 02:53:42
vorab: ich werd den thread hier einen freund von mir zeigen damit ich für mich verifizieren kann dass meine sicht der dinge relativ nah an den sozialen normen liegt.
denn auch ich bin nur eine person und kann als individuum im grunde gar nicht für alle NA's sprechen. obwohl ich davon ausgehe dass mir klar ist wie die NA welt geregelt ist. dieser thread hier ist für mich auf jeden fall sehr interessant. mir macht das spass hier aber bitte nicht vergessen , ich gehöre einem bestimmten alter, einer bestimmten schicht und szene an und dinge können in anderen altersgruppen und schichten etwas variieren.
wegen mir müsste sich niemand um seinen eigenen schlaf bringen. falsche freundlichkeit.
ja, du hast recht. es ist falsche freundlichkeit wenn man es so, ich sag mal "brutal" ausdrücken will.
aber das ist ja genau was ich versuche zu vermitteln. NA's ist falsche freundlichkeit, solange die freundlichkeit einen wahren kern hat angenehmer als die brutale nackte wahrheit.
ich würde da sogar differenzieren. falsch ist nicht die freundlichkeit, falsch ist das verhalten im bezug zur freundlichkeit bzw. zur aufrechterhaltung dieser.
ich fälsche ja nicht meine zugrundeliegenden emotionen mit so einer notlüge.
@hallo.:
wenn du meinst, dass meine beispiele bereits große/grobe lügen darstellen, muss ich vielleicht davon ausgehen, dass ich kleine lügen gar nicht erkenne? ist das nicht furchtbar? *nachdenk*
furchtbar wär imo wenn du den unterschied zwischen wahrheit und lüge nicht erkennen würdest. also nicht wüsstest ob es eine lüge ist wenn ich sage schnee ist immer neonblau.
ob du zwischen lügen differenzieren kannst weiss ich ja auch nicht, deshalb hab ich ja gefragt. mir ist nur aufgefallen dass hier sehr heftige lügen als beispiele gebracht wurden, ich aber eher kleine lügen als beispiel gebracht habe.
was ja soviel bedeuten würde das lügen manchmal folgen nach sich ziehen und manchmal nicht...
und nun bin ich verwirrt, denn einige lügen sind aufgrunddessen schlecht, andere bewirken nichts, heißt das alle lügen sind schlecht? wer macht den unterschied? bewirken alle lügen irgendetwas? und was ist wenn man sich selbst belügt...
na ja, also normalerweise gehören lügen zur kommunikation und man kann sich kommunikation nicht entziehen + kommunikation hat immer folgen. selbst ein nicht kommunizieren wird als kommunikation (er möchte nicht kommunzieren) aufgefasst. insofern haben lügen immer folgen wenn sie weitergegeben werden.
NA's sind im grunde auch der meinung dass alle lügen schlecht sind, nur entspricht das nicht der realität wie mit lügen umgegangen wird.
notlügen werden im allgemeinen ohne viel aufhebens verziehen. schwerwiegende lügen können einem ein ganzes leben lang anhaften. im normalen sprachgebrauch sagt man in meiner gegend zum beispiel lügen für schlimme lügen und flunkern für kleine lügen.
wer macht den unterschied?:
keine ahnung, das ist irgendwie etwas dass man als NA einfach weiss aus erfahrung und erziehung. so wie ich das hier erkläre wird das einem NA zwar nicht erklärt aber man kriegt dies über die jahre hinweg mit.
grundsätzlich würd ich sagen lügen werden desto eher toleriert wenn sie einem sozialen zweck für die allgemeinheit fördern.
zum beispiel seemansgarn. dies sind geschichten wo alle zuhörer schon im vornherein wissen dass jetzt eine lüge aufgetischt wird. diese lügenvorwürfe werden aber so nicht formuliert bzw. mit beteuerungen des erzählers auf den wahrheitsgehalt abgeschmettert. trotzdem hört jeder zu. hauptsache die geschichte ist gut. insofern gibt es denke ich auch eine lügenkultur.
das man sich selbst belügt ist glaub ich nur eine redewendung. ich verstehe darunter dass man sich etwas vormacht was nicht stimmt (also z.b. illusionen hinterherläuft). ich wüsste nicht wie man sich selbst belügen könnte (ganz abwegige szenarien wie induziertem gedächtnisverlust mal außen vor) und dies dann auch noch glauben.
PS:
ansonsten: sollte meine sprache zu ungenau sein bitte ich darum mir das zu vermitteln damit ich gegebenenfalls stellen nochmal neu formulieren kann.
22.05.09, 05:23:30
drvaust
Für mich machen Lügen, versteckte Andeutungen, leere Floskeln, unbekannte Redewendungen usw. das Leben unnötig schwer. Ständig muß ich überlegen, was wirklich gemeint ist, muß alle Einzelheiten gleichzeitig berücksichtigen. Ich fände es schöner, wenn ich immer davon ausgehen könnte, daß alles Gesagte auch so gemeint ist.
Ich habe das einigermaßen gelernt, kann Andeutungen oft erkennen, nehme leere Floskeln meistens nicht ernst, kann halbwegs lügen, äußere mich höflich usw., aber das macht das Leben unnötig schwer. Lieber würde ich direkt und ohne versteckte Aussagen kommunizieren.
Ich hatte beobachtet, daß NA oft durch Mimik und Körpersprache eine Aussage relativieren. Da wird eine Anspielung durch die Mimik als solche gekennzeichnet, aber weil ich Mimik schlecht erkenne, nehme ich das ernst.
Die versteckten Andeutungen erkenne ich nicht schnell, das bringt mich manchmal in Schwierigkeiten oder läßt mich dumm dastehen. Z.B. war ich mal mit jemand Nahestehenden unterwegs. Da sagte dieser, er hätte Hunger. Ich überlegte sofort, ob ich etwas Eßbares einstecken habe oder wo man was kaufen könnte. Auf die Idee, daß der in das nahegelegene Restaurant möchte, kam ich nicht. Warum sagte der das nicht?
Auch mit höflichen Lügen habe ich Probleme. Wenn ich etwas frage, erwarte ich eine richtige Antwort und nehme diese ernst. Da will ich nicht beschwichtigt werden. Wenn mir jemand ehrlich sagt, daß ich heute schlecht aussehe, dann finde ich das gut. Sonst denke ich vielleicht, ich würde mich nur schlecht fühlen. Oder ich merke nicht, daß ich mich mal dringend kämmen muß und die Nudel aus dem Bart ziehen.
22.05.09, 08:40:35
Bluna
Anscheinend ist es so,dass manche Leute glauben,sie könnten sich Vorteile verschaffen.Es wird offenbar als Möglichkeit gesehen,Konflikten aus dem Weg zu gehen,oder Diskussionen zu umgehen.
Ich denke die Nachteile überwiegen.
Ausser man möchte nicht ernst genommen werden,oder man braucht keine Beziehungen zu anderen Menschen.
Lügen stört soziale Beziehungen in dem Sinne,dass es Verwirrung stiftet.Tatsachen werden falsch geschildert,daraus resultieren falsche Reaktionen usw,usf.
Wenn ich keine Lust zu etwas habe,dann sage ich,ich habe keine Lust und nicht,ich habe keine Zeit.So kann man wissen,woran man ist,mit mir.
Im Prinzip ist es so:Je weniger mir eine Beziehung wert ist,oder je weniger ich verstanden werden möchte,desto eher wäre ich bereit zu lügen und damit Verwirrung zu stiften.
Wenn mich Einer anlügt,dann könnte er eigentlich gleich sagen:ich lege keinen Wert auf eine sinnvolle Kommunikation mit dir.
Das wäre dann schon okay.Dazu braucht man sich nicht zu verstellen.
22.05.09, 08:48:28
zoccoly
geändert von: zoccoly - 22.05.09, 10:05:52
... aber in realität wollen NA's lieber eine nicht ganz korrekte beziehung als gar keine.
Genau an diesem Punkt bin ich anders.
Ich habe lieber ein, zwei Freunde und die Beziehung zu ihnen ist tiefgründig und korrekt. Solche Freundschaften muss ich dann auch nicht nach NA Verständnis pflegen. Diese Freundschaften bestehen einfach und benötigen auch nicht eine regelmäßige Rückversicherung.
Es bringt mir nichts zig Bekannte/"Freunde" zu haben mit ihnen etwas zu unternehmen, da Oberflächlichkeiten mich nerven und sinnloses Beisammensein mich furchtbar anstrengt.
zum Thema kleine Lügen, damit es dem anderen besser geht, fällt mir noch folgende Episode ein
Ich arbeite seit vier Jahren eine Kollegin ein. Zwischendurch sagte ich ihr natürlich ständig ihren Stand.
Als ich mich jetzt outete und wir ein wenig über die Besonderheiten sprachen, die bei mir vorhanden sind, kamen wir auch auf das Thema lügen.
Sie fragte: " Also kann ich immer davon ausgehen, dass du mir die Wahrheit sagst?"
Die Frage hatte mich echt überrascht.
Im Nachhinein überlegte ich mir, wie schlimm es aber auch sein muss, wenn man ständig alles anzweifelt, wenn man denkt, eine Äußerung war deshalb getätigt worden, um ein gutes Gefühl zu vermitteln.
Wenn ich ihr sagte, das oder das kann sie schon recht gut, war das natürlich von mir auch so gemeint.
22.05.09, 09:16:26
anne1
Hallo, Hallo,
ich antworte Dir mal ausschließlich auf Deinen Beitrag vom 21.5. um 20.Uhr, den mit den Beispielen.
Der Mutter würde ich antworten, "Ich bin gestern ziemlich spät ins Bett gekommen, und deshalb noch sehr müde."
Meiner Freundin sage ich immer, wie ich finde , daß sie aussieht, wenn ich ein Mann wäre, würde ich das vermutlich nicht tun(?)
Wenn ich gefragt würde, "Glaubst Du, daß wir in 10 Jahren noch zusammen sind?" wäre das für mich ein Zeichen , jetzt mal mir ernsthaft Gedanken zu machen über die Zukunft und gemeinsame Wünsche, Pläne und Vorstellungen, bzw unvereinbare Pläne. Und mich gegebenenfalls evtl lieber sofort zu trennen.
viele Grüße,
anne
22.05.09, 09:18:12
Hans
@hallo Dein Stil ist gut, man merkt, daß Du gerne schreibst.
Ich habe durch die Ermahnungen der Erwachsenen mich immer an die Wahrheit gehalten.
Ich habe aber bald gemerkt, wie meine Ehrlichkeit ausgenutz wurde.
Bis heute ärgert mich eine weit zurück liegende Geschichte mit einer Lüge,
wenn sie mir wieder einfällt.
Ich möchte das dann immer noch aufklären, obwohl es ja gar keinen interessiert.
Noch heute bzw. gestern Abend werde ich von NA´s "verbessert":
"Das mußt Du doch gar nicht sagen, wenn Du schon nicht lügen kannst,
dann lass´ es einfach weg!"
Ja, sie geben mir Tipps, wie ich besser lüge, damit ich im Leben besser bestehe!
Die meinen das gut mit mir!
Früher habe ich mich immer dagegen gewehrt, weil ich das als Defizit angesehen habe.
Jetzt, da ich weiß, daß das wirklich mein "autistisches" Defizit ist, lerne ich aufmerksam!
Nur mit der Durchführung hapert es noch ...
In einer Folge des "Großstadtrevier" hat es ein Polizist nett auf den Punkt gebracht,
daß es scheinbar keine genaue Grenze zwischen Lüge und Wahrheit gibt
und dazu noch die angewandte Lüge, das Mogeln
ergibt ein neues "Kunstwort":
Lügeln
22.05.09, 09:59:24
55555
geändert von: 55555 - 22.05.09, 10:00:01
Auch wegen angeblich kleinen "Notlügen" war ich gegenüber anderen schon deutlich verstimmt, als ich sie erkannte. Für mich ist das schon eine Art Unwort, ein Begriff, der selbst gewissermaßen Lüge ist, eine nicht vorhandene Not behauptet.
Es mag ja sein, daß es Menschen gibt, die irgendwas davon haben im Kontakt miteinander in einer luftigen Wattetraumwelt verhaftet zu bleiben, statt einander nahezukommen, sich wahrhaftig zu begegnen. Für mich ist diese Einstellung ungefähr vergleichbar mit Personen, die alles unheimlich kitschig haben mögen.
Vielleicht interessiert dich auch
dies und
jenes Thema.
22.05.09, 17:24:40
zoccoly
Jetzt, da ich weiß, daß das wirklich mein "autistisches" Defizit ist
Ist es wirklich ein "autistisches" Defizit oder eher eine Stärke?
22.05.09, 22:54:16
Hallosfreund
Hallo.
Ich bin ein Freund von Hallo, derjenige den er gebeten hatte eine Einschätzung bezüglich seiner Äußerungen abzugeben.
Abgesehen vom Verständnis für Humor, der Wahrnehmung von Sprache und Musik und den scheinbar synästhetischen Empfindungen, worin sich NAs und As eventuell unterscheiden, hatte ich den Eindruck „die Lügen“ hätten sich zum vorherrschenden Thema gemausert. Daher möchte ich dazu meine Einschätzung abgeben.
Selbstverständlich können meine Aussagen ebenso wenig repräsentativ sein, wie die von Hallo aber auch ich werde mich bemühen, mich mit dem Gegenstand nach bestem Wissen und Gewissen auseinander zu setzen. Es kann sein, dass ich mich dabei in einigem was bereits angesprochen wurde wiederhole. Dies wird dem Umstand geschuldet sein, dass ich mich bemühe den bisherigen Verlauf zusammenzufassen, um hier und da noch eine Anmerkung hinzuzufügen.
Lügen:
- Lügen und Wahrheit
Unter kommunizierter Wahrheit verstehe ich, dass ein Sprecher davon ausgeht ein geschilderter Sachverhalt oder eine Aussage über irgendetwas, beschriebe die tatsächlichen also realen Verhältnisse desselben Inhalts.
Unter Lüge verstehe ich eine vorsätzliche Falschaussage gegen besseres Wissen
zum Zweck einer Täuschung. Diese Definition scheint mir nötig um zunächst Fehlwahrnehmungen, Fiktionen sowie Illusionen und Selbstbetrug auszuschließen.
Bei Fehlwahrnehmungen geht man selbst von der Wahrheit der Aussage aus. Das ist zwar trivial aber wenn jemand anderer Meinung ist, kann er einem trotzdem Verlogenheit unterstellen.
Bei der Fiktion ist es oft so, dass etwas beschrieben wird als wäre es war. Das kann sogar ihren besonderen Reiz ausmachen. Allerdings werden sie in der Regel die äußeren Umstände als solche ausweisen. (Beispiel Seemannsgarn) [bei der Ironie ist das ähnlich]
Um sich wirklich selbst zu belügen müsste man irgendwie dissoziieren. So kann mit Illusionen in diesem Zusammenhang nur gemeint sein, dass man sich bestimmte Vorstellungen macht, obwohl die damit verbundenen Hoffnungen nur mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit erfüllt werden. Vielleicht auch das jemand sich aus irgendwelchen Gründen weigert bestimmte Realitäten anzuerkennen.
Zur Wahrheit muss ich nun sagen, dass sie sich von der Unwahrheit nicht immer bestimmt unterscheiden ist lässt. Da kommen unterschiedliche Personen doch zu ganz unterschiedlichen Ansichten.
Es ist schon wichtig diese Tatsache zu berücksichtigen. Wenn mir beispielsweise mein Gegenüber einen gewissen Grad an Intelligenz zubilligt aber andere Ansichten vertritt, muss er unter Umständen davon ausgehen, dass ich ihn aus (dann seinerseits ausgedachten und unterstellten) obskuren Motiven heraus belüge. Er glaubt, an sich wüsste ich es eigentlich besser, sei ein Heuchler, Lügner oder in Wirklichkeit auf etwas anderes aus. (Im Gegensatz zur Fehlwahrnehmung bin ich hier fest davon überzeugt die Wahrheit zu äußern auch im nachhinein)
- Warum wird gelogen?
Weil man muss! Weil man sich im negativen Fall Nachteile ersparen will und im „positiven“ Fall Vorteile erhofft.
Zwar ist der erste Satz hart formuliert aber ich denke sowohl am Anfang als auch am Ende einer „Lügnerkarriere“ steht der Zwang.
Der Verlauf ist wohl der, dass man zunächst lernt Wahrheiten zu verschweigen. Inwiefern das einer Lüge gleichkommt wäre eine interessante Frage, die hier zu erörtern nicht zweckmäßig erscheint.
Ein Beispiel (Modell lebensbejahende, alleinstehende Mutter): „Sag in der Schule nicht dass die Mama viele männliche Freunde hat“ etc..Hier will die Mutter ihrem guten Ruf wahren und dem Kind drohen womöglich Sanktionen.
Ähnlich beim Lügen; Nächstes Beispiel (Modell handgreiflicher Vater) entweder: sag nicht dass der Papi dich geschlagen hat, sondern ein fieses Kind auf dem Spielplatz.. - der Vater fürchtet Ärger mit Lehrern oder Erziehern, das Kind fürchtet weitere Bestrafung. Oder: wenn es etwas angestellt hat drohen wiederum unangenehme Konsequenzen also leugnet es, dass es den Fußball in Nachbars Fensterscheibe geschossen hat. Sanktionen drohten dann vielleicht auch fürs Lügen, aber die Angst vor der somit eventuell nicht erfolgenden Bestrafung schien den Versuch lohnenswert zu machen.
Ehrlichkeit mag zwar als Wert vermittelt werden aber sie wird auf Dauer doch samt ihrer Restriktionen dem Heranwachsenden nahegebracht. Neben der Tatsache, dass man die praktischen Nachteile einer Wahrheit am falschen Platz zu spüren bekommt und der, dass man die Erwachsenen ebenfalls beim Lügen erwischt, wird einem ein Ausnahmenkatalog an die Hand gereicht.
Beispiel (Höflichkeit): Die Großtante kommt zu Besuch und ist auf Grund ihres Alters ziemlich blass, hatte dunkle Augenringe, Falten, und viele Pigmentflecken, vielleicht riecht sie sogar seltsam. Kind: „Großtante du bist ja so wie eine Leiche.“ Weil das ihre Gefühle verletzt und ihre schlimmsten Ängste wachrufen könnte wird dem Kind später nahe gelegt derartige Gedanken in ähnlichen Situationen für sich zu behalten oder sich gar noch irgendein Kompliment abzuringen.
Später lernt man Einzuschätzen wann es angebracht ist den eigenen Befindlichkeiten und Sichtweisen Gehör zu verschaffen und wann nicht. Wiederum drohen gesellschaftliche oder erzieherische Sanktionen entweder erklärtermaßen oder unbewusst.
Man lernt also in Bezug auf den einen oder anderen Fall berechnend mit den eigenen Gefühlen und Meinungen umzugehen.
Wieder etwas später übt man einen Beruf aus. Wenn man zum zweiten Mal in einer Woche verschlafen hat wird man vielleicht lieber sagen man habe eine Autopanne gehabt. Es geht dem Chef in diesem Fall gar nicht darum die Wahrheit zu erfahren, im Zweifelsfall möchte er seine Autorität anerkannt wissen und nicht den Eindruck vermittelt bekommen der Arbeitnehmer würde ihn und die Beschäftigung in seinem Betrieb nicht so wichtig nehmen.
Schließlich gehören Lügen zu manchen Berufsbildern: als Betrüger, als Verbrecher im allgemeinen sowieso oder vielleicht auch als Politiker.
Dann machen manche Menschen auch von sich aus den Übergang gar keinen Unterschied mehr zu machen, wenn sie feststellen dass sie mit ihrer Wahrheitsmodulation gewisse Vorteile erheischen. Sie merken beispielsweise das schmeicheln im Gegenzug unter Umständen mit Zuneigung belohnt wird egal wie ehrlich oder unehrlich sie es gemeint haben.
Ich sage nicht dass das alles richtig ist aber wenn man sich über das Thema Lügen Gedanken machen möchte muss man anerkennen, dass der bloße Schein in dieser Gesellschaft hoch gehandelt wird. Insofern sucht man sich auch nicht aus ob es einem wichtig ist was andere von einem halten, sondern man ist in dieser oder jener Hinsicht abhängig von der Beziehung zu ihnen. Daher ist es notwendig auf ihre Empfindlichkeit oder die gesellschaftliche Konvention Rücksicht zu nehmen. Es ist deshalb auch nicht so das Lügen langfristig gesehen nicht funktionieren. Ob sie aufgedeckt werden hängt von vielen, oft zufälligen Umständen ab. Im allgemeinen ist es auch nicht so das Lügen sehr leicht erkannt werden. Sie werden entweder lange nach dem Eintreten der gewünschten Wirkung entlarvt und somit haben sie bereits funktioniert oder sie dienen beispielsweise als Berufungstitel (Legitimation) und man weiß, dass vorgeschoben sind, kann aber schlecht dagegen argumentieren. Ein Großteil aller Lügen wird wahrscheinlich einfach nie aufgedeckt. Wenn Lügen nicht funktionieren, dann liegt das vielleicht an schlechten Lügnern, Menschen die es gar nicht wollen oder an schlechten Lügen, beispielsweise solche die nur wiedergegeben werden, die somit weniger ausgefeilt sind und deshalb auch nicht überzeugen. Bei superkonventionellen Unwahrheiten zum Beispiel „Wie geht es dir? - Danke gut.“ werden viele gar nicht an der Wahrheit interessiert sein. Es wird aber soviel gelogen eben weil es so gut funktioniert. Es würde wohl nicht so viel gelogen werden, wenn langfristig damit immer Nachteile damit verbunden wären.
- Offenheit, Vertauen und „charmante Lügen“
Offenheit, soweit es sich nicht um bestimmte Personengruppen handelt die sie voraussetzen, nimmt allgemein mit dem Grad der Vertrautheit zu. Je näher man sich kommt desto lockerer wird das Korsett der sozialen Konventionen. Solange man nicht eine gewisse Stufe erreicht hat muss man, selbst wenn man viel von Ehrlichkeit hält die Konvention unterstellen. Das gilt in beide Richtungen; es ist also sowohl ratsam sich erst einmal vorsichtig (das heißt den Konventionen entsprechend) zu verhalten und weil man nichts Besseres gewöhnt ist muss man auch annehmen, dass sich das Gegenüber innerhalb dieses Rahmens bewegt. Wenn mir eine wildfremde Personen schonungslos offen begegnet, wäre das eine außergewöhnliche Situation. Wüsste ich diese Besonderheit nicht zu schätzen, müsste ich der Person vielleicht feindselige Motive unterstellen.
Vertrauen wächst mit der schrittweisen Annäherung der Beteiligten. Man weiß nicht nur das man selbst im Bezug auf die eigenen Gefühle und Gedanken einen berechnenden (gefilterten) Umgang pflegt, sondern auch das andere sich berechnend in Bezug auf diese Verhalten. Wer seine Emotionen und Ansichten preisgibt macht sich angreifbar. Daher tendiert man, zum Zwecke des Selbstschutzes, dazu sich zu zensieren.
Umgekehrt möchte man, vielleicht weil man jemanden gern hat, auf dessen Gefühle und Gedanken Rücksicht nehmen, anstatt sie oder ihn zu verletzen.
Wer sich hier rein rational verhält läuft Gefahr sein Gegenüber zu kränken. Ob es sich nun um die Arbeitskollegen oder um die eigene Freundin handelt, wenn man nicht auf die Ehrlichkeit verzichten möchte täte man wohl gut daran den emotionalen Aspekt der Situation nicht unbeachtet zu lassen.
Beispiel 1): „Ich hoffe Ihr nehmt es mir nicht übel, aber ich bin ziemlich geschafft und möchte heute lieber zuhause bleiben. Vielleicht können wir nächste Woche mal weggehen. Beispiel 2): „Mein (Kosenamen einsetzen), natürlich bist du die allerschönste Frau der Welt und nichts kann dich wirklich entstellen aber dieses Kleid bringt deinen Wunderkörper nicht so sehr zur Geltung und du siehst leider selbst für deine konkurrenzlosen Verhältnisse recht verschlafen aus. Das ist alles nicht so schlimm, du weißt ja das ich dich lieb habe.“
Ich habe den Verdacht das es sich bei „charmanten Lügen“ teilweise gar nicht um Unwahrheiten handelt. Viele nicht böswillige Lügen bringen im Prinzip das was man eigentlich sagen wollte zum Ausdruck. Man führt lediglich nicht den gesamten Gedankengang mit all seinen Abwägungen aus, sondern präsentiert das Ergebnis. Man blendet zwiespältige Inhalte aus. Wenn man sich entscheidet doch auf die sightseeing tour zu gehen, obwohl man so müde ist, ist dies ja schließlich die Wahrheit. Das man eigentlich keine Lust hat heißt hier ja, dass man sich entschieden hat schon Lust zu haben. Es wäre ungewöhnlich alle Motive, Tendenzen etc. kund zu tun. Das Gegenüber interessiert sich gar nicht für alle möglichen Gedanken sondern nur für die Antwort.
Vielleicht wäre eine korrekte Antwort hier auch gar nicht ohne weiteres möglich. In Sekundenbruchteilen rattern unterschiedlichste Überlegungen durchs Gehirn. Einige Inhalte sind dabei vielleicht nur als Gefühl vorhanden also unbewusst. Damit meine ich über längere Zeiträume eingeprägte Verhaltensweisen (auch Zu- und Abneigungen) aufgrund unzähliger vorangegangener Urteile. Diese unter Zugzwang vollständig für sich selbst aufzuschlüsseln scheint uneffektiv zu sein. Man präsentiert nur das Resümee in dem Bewusstsein, dass es da auch entgegnsprechende Faktoren gab.
- unausgeglichene Gesprächssituationen
So ist man es also gewohnt erst seine Aussagen zu filtern und dann zu reden. Dabei wird jeweils der soziale Kontext berücksichtigt und das Wissen darum in die Kommunikation miteingebaut. Man muss wissen innerhalb welches Kommunikationsrahmens man agiert, um die Situation richtig einschätzen zu können. Wenn man sich dabei verschätzt befinden sich beide in der gleichen Situation, sie wissen nicht woran sie sind und es fällt ihm schwerer sich angemessen zu verhalten. Ich würde mich nicht trauen zu behaupten, dass eine der beiden Seiten eine absolute, allgemeingültige Wahrheit für sich in Anspruch nehmen könnte. Die durch Konventionen, Höflichkeit und allerlei Scharlatanerie verdorbene Position beruft sich leider auch auf die Realität. Wie bereits eingangs erwähnt ist das was für den ein richtig ist für den anderen vielleicht falsch. Müssten sonst nicht alle Menschen, die sich selbst auf die Wahrheit berufen, in nahezu allen Aspekten einer Meinung sein?
Vielleicht konnten meine Überlegungen irgendetwas zu einem Verständnis von „Lügen“ beitragen. Ich habe mich bemüht, bei der Sache zu bleiben und keine wertende Position einzunehmen. Ich hoffe dies ist mir gelungen.
22.05.09, 23:28:41
55555
Allgemein finde ich deine Ausführungen durchaus richtig, abgesehen von den darin nach meinem Eindruck doch enthalteen parteiischen Positionierungen. Dennoch bleibe ich bei meiner Meinung zum Thema.
Weil man muss! Weil man sich im negativen Fall Nachteile ersparen will und im „positiven“ Fall Vorteile erhofft.
Nein, man muß nicht. Man entscheidet sich zwischen Prioritäten. Es gibt keine zwangsläufige Entscheidung.
Zitat:
Wenn mir eine wildfremde Personen schonungslos offen begegnet, wäre das eine außergewöhnliche Situation. Wüsste ich diese Besonderheit nicht zu schätzen, müsste ich der Person vielleicht feindselige Motive unterstellen.
Ist das nicht furchtbar so verdreht zu empfinden? Ich würde sogar soweit gehen am Sinn eines solchen Daseins zu zweifeln.
Zitat:
Wer sich hier rein rational verhält läuft Gefahr sein Gegenüber zu kränken.
Zu meinem Bild von Freundschaft gehört es sich auch unangenehme Dinge mitzuteilen. Das muß man nicht ständig tun, wenn der andere eine bestimmte Aussage nicht mag oder tatsächlich irgendwie als kränkend empfindet. Eitelkeit ist für mich kein menschlicher Zug, der förderungswürdig wäre. Das ist wohl eine Sache des eigenen Verständnisses von Kultur.
22.05.09, 23:45:17
Hans
Ja aber hallo, Hallosfreund
das ist ja mal ganz was tolles,
von einem neueinsteigenden NA gleich so eine "Enzyklopädie",
das war noch nie!
Was Du beschreibst, habe ich auch schon beobachtet,
aber lange Zeit falsch interpretiert,
weil ich immer von einer "Allgemeinen Wahrheit" ausging,
die scheinbar nur ich sah.
Nachdem ich mir in meinem Leben schon einige "andere Wahrheiten" angeeignet habe,
rege ich mich nicht mehr so auf, nehme das gelassener.
Aber selber so zu agieren, fällt mir nach wie vor sehr schwer.